Anja Kromer,
32 Jahre, aus Kiel

Anja Kromer hat das Unternehmen „Umtüten“ mitgegründet und produziert Frischhaltetüten für den müllfreien Transport von Lebensmitteln

Dass die Menschen viel zu viel Müll produzieren, ist Anja ­Kromer zum ersten Mal so richtig bewusst ­geworden, als sie in Kiel einen Master­studiengang in Nachhaltigkeit belegte. Das Thema war im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen zu greifen. Tausende Becher kauften die Mitstudierenden täglich und in Tausende Papiertüten wurden die Brötchen, Bagels, Baguettes verpackt – und nur Sekunden ­später entsorgt. Diese Verschwendung brachte Anja Kromer auf die Palme. Dort saß auch schon ihre ­Kommilitonin Christina Lehmann. Umgehend ­waren sie sich einig: Das muss anders werden! Sie wurden Freundinnen und Projektpartnerinnen.

Die erste Idee: ein Netzwerk von ­Bäckereien, bei denen man ­seine ­eigene Brötchentüte mitbringen darf. Schnell waren ein paar Unter­nehmen an Bord, aber ebenso schnell wurde Anja und Christina klar: Wir müssen zusätzlich ein ­eigenes Produkt anbieten. Also entwickelten sie die Snack-Tüüt. Mit diesem ­nachhaltig produzierten, wiederverwendbaren, ­platzsparenden und – ganz wichtig! – schönen Transport­behältnis sollten die zahllosen Papiertüten über­flüssig werden. Nach und nach wuchs dann die Tütenfamilie um die Brot-Tüüt und die Markt-Tüüt. Aus dem ­Projekt war ein Start-up-Unternehmen geworden: „Umtüten“.

Ein bisschen ist Anja Kromer selbst von sich überrascht, wenn sie auf die sechs Jahre seit der Gründung zurückschaut. So sesshaft war sie vorher noch nie gewesen. Eigentlich ist sie wahnsinnig gern unterwegs, lernt neue – vor allem warme! – Länder kennen und neue Sprachen. Andere Menschen zu verstehen, das findet sie gut, und zwar nicht nur deren Worte, sondern auch, wie sie ticken. Schul- und Studien­austauschprogramme führten die gebürtige Berlinerin nach Frankreich.

„Stillstand kommt nicht in die Tüte.“

Nach einem Bachelor in Wirtschaft arbeitete sie im südspanischen ­Sevilla, begleitete Veränderungsprozesse bei einem Luftfahrtunternehmen. Eine Arbeit, die ihr zwar Spaß gemacht hat, die aber irgendwann nicht mehr zu ihren Überzeugungen passte. Der Umweltgedanke fehlte. Auch privat steht bei ihr seitdem das Flugzeug auf dem Abstellgleis. Ihre Reisen unternimmt Anja Kromer in der Regel mit der Bahn.

Was Anja Kromer antreibt, ist ihr Drang nach Veränderung. Auf dem MFG-5-Gelände in Kiel-Holtenau haben Anja und Christina 2020 eine Ausstellung zu ihrem ­Herzensthema Nachhaltigkeit konzipiert und gestaltet. Zum einen eine Gelegenheit, die ­Alltagsgewohnheiten der ­Besucher ein bisschen positiv zu beeinflussen, zum anderen eine Möglich­keit, die „Corona-Zeit“ sinnvoll zu nutzen, denn auch bei „Umtüten“ sind die Bestellungen vorübergehend zurückgegangen. Vielleicht gehen sie mit ihrem Unter­nehmen auch noch einmal ganz neue Wege. Auf einer Tafel hinter Anjas Schreibtisch in ihrem Büro steht das Motto: „Wir machen Bock auf Umdenken im Alltag.“

Veränderung heißt für Anja aber auch Selbstentwicklung. Sie hat ihr Interesse für kreative ­Bereiche entdeckt, etwa für Design und Foto­grafie, und sie liebäugelt mit der Schreinerei. Wenn man in diesen ­Feldern einen festen Job suche, ­müsse man meist eine Ausbildung oder ein Studium vorweisen. Doch das sind Hürden, die Talente auch ausbremsen können. Ihr Unternehmen – und da ist sie sich mit ­Christina einig – führt Anja ­Kromer deshalb anders: Sie will unab­hängig bleiben, sich und ihrem kleinen Team Freiheiten und das Erreichen eigener Ziele ­ermöglichen. Nicht ­getrieben werden, sondern die ­Dinge selbst vorantreiben. Stillstand kommt der leidenschaftlichen ­Macherin nicht in die Tüte.