Interview mit Marcel Schröder, Aktion Kinder- und Jugendschutz SH e. V.

Hassrede und Mobbing finden im Internet täglich millionenfach statt. Die Tatorte: TikTok, WhatsApp, Snapchat, Instagram und andere soziale Medien. Kinder und Jugendliche sind digitaler Gewalt besonders schutzlos ausgeliefert. Die Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein (AKJS SH e. V.) bietet seit mehr als 25 Jahren Fortbildungen, Workshops, Vorträge und Beratung zu Gewalt- und Mobbingprävention, Medienkompetenzförderung und Jugendmedienschutz, vor allem für pädagogische Fach- und Lehrkräfte. Der gemeinnützige Verein will für die Risiken im Netz sensibilisieren und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. los! sprach mit AKJS-Medienreferent Marcel Schröder.

Hate-Speech, Cybermobbing, Cybergrooming: Hass und Hetze im virtuellen Raum haben verschiedene Erscheinungsformen. Was ist der Kern dieser Taten?
Zunächst einmal ist festzuhalten: Für Betroffene handelt es sich dabei nicht selten um Gewalterfahrungen. Deshalb sprechen wir auch von digitaler Gewalt als Oberbegriff dieser Phänomene. Das menschliche Gehirn kann nicht unterscheiden, ob einem die Gewalt auf der Straße oder im Internet passiert ist. Im Unterschied zur physischen Gewalt können digitale Attacken rund um die Uhr, vor einem potenziell riesigen Publikum und häufig durch anonyme Täter*innen verübt werden. Digitale Gewalt ist eng mit analoger Gewalt verknüpft. Mitunter setzt sich analoge Gewalt online fort, in anderen Fällen überträgt sich digitale Gewalt auf das analoge Leben.

Wie wirken sich solche Gewalterfahrungen auf Kinder und Jugendliche aus?
Die schädliche Wirkung digitaler Gewalt ist bei jungen Menschen besonders groß. Leistungseinbrüche in der Schule, Gewaltfantasien, psychosomatische Reaktionen können die Folge sein. Auch Scham und sozialer Rückzug, Selbstwertprobleme, Hilf- und Hoffnungslosigkeit sind zu beobachten. Das kann bis hin zu manifesten Depressionen und Suizidgedanken führen.

Wie kann eine sinnvolle erste Reaktion aussehen? Was raten Sie Betroffenen?
Zunächst einen Moment innezuhalten und ein Bewusstsein für den Grad der eigenen Verletzung, für die eigenen Bedürfnisse und die persönlichen Grenzen im Umgang mit den Täter*innen zu bekommen. Nicht jede*r kann und möchte digitale Gewalt schlagfertig auf dem eigenen Profil diskutieren und sich dabei auf die Unterstützung eines couragierten Netzwerks verlassen. Was aber jede*r tun kann: möglichst sofort rechtssichere Screenshots machen. Nur so kann man später wirksam gegen Täter*innen vorgehen. Wer sich gänzlich überlastet fühlt, kann das eigene Smartphone auch erstmal einer engen Vertrauensperson geben, bis der erste Schock überwunden ist. In jedem Fall ist es eine gute Idee, sich Hilfe zu suchen.

Wenn mein Kind Opfer von digitaler Gewalt ist: Wo finde ich Unterstützung?
Eltern sollten sich direkt an die Lehrer*innen und an die Schulleitung wenden. Cybermobbing kann nur durch Interventionen in der realen Welt wirkungsvoll beendet werden. Schulen sind gesetzlich dazu verpflichtet, verbindliche Präventions- und Interventionskonzepte für den Umgang mit diesem Problem bereitzuhalten. Ein Ansatz ist, Jugendliche und Lehrer*innen zu kompetenten Ansprechpartner*innen und Multiplikator*innen für Präventionsarbeit an den Schulen auszubilden, sogenannten Medienpeers oder Streitschlichter*innen.

Und wer hilft außerhalb der Schule?
Es gibt Anlaufstellen wie etwa das Bündnis gegen Cybermobbing, die Nummer gegen Kummer und andere schulexterne Angebote. Die bundesweite Beratungsstelle HateAid ist zudem ein kompetentes Beratungsangebot für von Hass im Netz Betroffene. Hier finden sie Verhaltenstipps, psychologische Beratung und Rechtsberatung bis hin zur Rechtsdurchsetzung. Es ist dringend notwendig, dass solche Angebote weiter ausgebaut und nachhaltig finanziert werden, um auf die unzähligen Fälle von Hass im Netz angemessen reagieren zu können.

Hate-Speech (deutsch: Hassrede): Beleidigungen, Herabsetzungen und Anfeindungen, die sich auf Merkmale wie Aussehen, Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung oder soziale Klasse beziehen. Besonders in rechtsextremen Organisationen und Milieus verbreitete Form der digitalen Gewalt, die zunehmend als Waffe gegen Politiker*innen, Vertreter*innen des Staates, Journalist*innen und diskriminierte Minderheiten eingesetzt wird. Immer wieder folgen auf digitale Gewalt auch physische Angriffe und Bedrohungen.

Cybermobbing: Darunter fällt das Beleidigen, Bloßstellen, Belästigen oder Bedrohen anderer Menschen mittels digitaler Medien über einen längeren Zeitraum hinweg. Häufig werden Angriffe zunächst digital durchgeführt, um in den Besitz von kompromittierendem Material zu kommen und Betroffene anschließend vor den Augen der beteiligten Mobber*innen bloßzustellen. Cybermobbing ist genau wie Mobbing ein systemisches Machtverhältnis, in dessen Verlauf die Angriffe im digitalen – und häufig parallel dazu auch im analogen – Raum geführt werden. Betroffene sind nicht mehr in der Lage, das Mobbing selbst zu beenden, und benötigen dringend Hilfe.

Cybergrooming: Zielgeleitete Ansprache und Manipulation Minderjähriger über soziale Medien mit dem Ziel, sexuell explizites Material zu erlangen und/oder persönliche Treffen zu vereinbaren. Täter*innen geben sich häufig als Gleichaltrige aus und wollen betroffene Kinder und Jugendliche dazu bewegen, ihnen sexuell explizite Darstellungen zu senden. Häufig werden betroffene Jugendliche im Nachhinein mit diesem Material erpresst, um eine missbräuchliche Abhängigkeit herzustellen. Wenn Jugendliche selbst zu Täter*innen werden und beispielsweise Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen in Klassenchats verbreiten, spricht man auch von sogenannten Peer-Delikten.

Anlaufstellen für Betroffene
Bundesweite Beratungsstelle HateAid:
www.hateaid.org
Bündnis gegen Cybermobbing:
www.buendnis-gegen-cybermobbing.de
Telefonseelsorge:
www.telefonseelsorge.de
Nummer gegen Kummer:
www.nummergegenkummer.de
JUUUPORT:
www.juuuport.de
Weißer Ring:
www.weisser-ring.de

Weitere Infos
Aktion Kinder- und Jugendschutz SH:
www.akjs-sh.de
Gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet:
www.jugendschutz.net
EU-Initiative klicksafe:
www.klicksafe.de