Matthias Stührwoldt, 54 Jahre, aus Stolpe 

 

Hein Buche

Unser Hof liegt direkt an der Autobahn. Und die Hausecke ist 20 Meter von der Fahrbahn entfernt. Als wir einen Wintergarten anbauen wollten, stand in der Baugenehmigung der schöne Satz: „Das Bauwerk ist so auszugestalten, dass es von der Bundesautobahn aus nicht für ein Verkehrszeichen gehalten werden kann.“

Trotz der Nähe zur Autobahn liebe ich diesen Ort. Dieser Hof ist mein Zuhause; hier habe ich fast mein ganzes Leben verbracht. Hier bin ich Milchbauer und halte meine 50 Milchkühe. Zwischen April und Oktober sind sie Tag und Nacht auf der Weide, und ich hole sie nur zum Melken rein, einmal morgens, einmal abends. Besonders gern weiden die Kühe oben auf dem Berg hinter unserem Hof – andere würden „Hügel“ dazu sagen – mit Blick über die Autobahn zur einen Seite und übers Depenauer Moor zur anderen. Ich kann gut verstehen, dass meine Kühe diesen Gipfel so mögen. Hier scheint einem die Welt zu Füßen zu liegen.

Oben auf dem Berg thront eine Hainbuche, einer der wenigen Einzelbäume, die abseits der Knicks auf unserem Land stehen. Seit ich mich erinnern kann, geht mein Blick von unserem Hof aus wie von selbst den Berg hoch zu dieser Hainbuche, die ich einfach nur „Hein“ nenne. Und oben auf dem Berg, in ihrem Schatten, an ihrem Stamm stehe ich zu gerne und lasse den Blick schweifen, übers Moor.

Hein war einfach immer da. Hier stand ich einst mit meinen Großeltern, während des einzigen Spaziergangs, den ich mit ihnen unternahm. Sie hatten nur Puschen an, weil sie mit mir nur kurz vor die Haustür gehen wollten, einen Haselzweig für einen Flitzebogen aus dem Knick zu schneiden, aber dann waren wir weiter gegangen. Unter Hein hatte ich ihnen „Kein schöner Land“ vorgesungen, und langsam hatten sie dazu getanzt. Seitdem kehre ich immer wieder zu Hein zurück. Hier habe ich fürs Abi gelernt, hier habe ich mit meiner Frau geknutscht, hier habe ich mit meinen Kindern übernachtet. Hier habe ich immer wieder das Gefühl, da zu sein, wo ich hingehöre.

Matthias Stührwoldt ist leidenschaftlicher Bio-Milchbauer und Autor. Die Geschichten aus seiner Welt erscheinen seit 2003 in zahllosen Büchern, in der „Bauernstimme“ und als plattdeutsche Radiogeschichten in der NDR-Sendereihe „Hör mal ’n beten to“.