Anne von der Heyde, 44 Jahre, aus Lübeck

 

Schöner hoffen am Schicksalsort

Natürlich gibt es tausend andere schöne Orte in der Lübecker ­Altstadt, dieses Gebäude aus den 1960er-Jahren würde einem vielleicht nicht als Erstes ­einfallen. Aber für mich ist mein Werkstattatelier der schönste Ort von allen. Und ich mochte diesen Laden schon immer: lange bevor ich überhaupt eine Ahnung davon hatte, dass ich einmal so etwas suchen würde.

Vor zwei Jahren brauchte ich dann einen neuen Ausstellungsraum und eine Werkstatt. Dass dieser Raum im Januar 2020 frei wurde, war wie ein Geschenk. Hier waren schon etliche Läden drin: ­Afrohairshop, Craft-Beer-Laden, Briefmarkengeschäft, Goldschmied – keiner hat lange durchgehalten. Auch mir rief jemand am Tag der Eröffnung zu: „Ein Jahr, dann bist du hier raus.“ Ein anderer gab mir seine Visitenkarte: „Falls du das Jahr nicht überstehst.“ Ich hab’s überstanden, trotz Corona.

Und ich will bleiben, denn es ist so etwas wie mein Schicksalsort, aus dem ich meine Inspiration ziehe. Meine Bronzearbeiten beschäftigen sich ja viel mit Alltagssituationen von Menschen und Tieren. Das alles bekomme ich hier sechs Tage die Woche zu sehen. Hier zu sitzen, die Menschen zu beobachten, wie sie sich bewegen, wie sie gucken, was sie machen: Besser geht’s nicht. Ich könnte auch im Hof arbeiten und die Spatzen beobachten, das ist auch schön, aber ich brauche einfach das Leben hier, die Geräusche, die ­Passanten und Verrückten, die Freunde, die vorbeischauen, den Klatsch und Tratsch aus dem Viertel, das Café nebenan … In diesem Raum ­passiert mein Leben und ich hüpfe jeden Tag zur Arbeit, weil ich hier so glücklich bin. Auch wenn ich heute nur eine Postkarte ­verkauft habe. Dann hoffe ich eben, dass es morgen wieder besser läuft. Und Hoffen ist doch auch was Schönes.

Anne von der Heyde ist in Frankfurt (Oder), Berlin und ­Hamburg groß ­geworden. Seit 2011 ist die ­Diplom-Designerin als ­Bild­hauerin in Lübeck ­aktiv. 2020 eröffnete sie dort die ­Galerie Kontrapost (www.galeriekontrapost.de), in der sie ­arbeitet, ihre ­humorvoll-lakonischen Bronzeplastiken ausstellt und Workshops gibt.