Mit dem Rad auf den Spuren des heiligen Vicelin

Manchmal dreht sich die Welt ganz schön schnell. Zum Innehalten bleibt da wenig Zeit. Unser los!-Autor Michael Fischer musste mal raus aus dem stressigen Alltag – und begab sich auf den „Mönchsweg“. Der knapp 1.000 Kilo­meter lange Radfernweg von Bremen nach Puttgarden folgt den Spuren der Mönche, die das Christentum im Mittelalter in den Norden brachten. In Schleswig-Holstein er­streckt er sich ab Glückstadt auf rund 340 Kilometern.

Wie wir arbeiten, wie wir schlafen,
wie wir mit der Zeit umgehen und
mit unseren nächsten Menschen,
alles hängt mit unseren Überzeugungen zusammen.

Das isses, dachte ich: Mönch sein für einen Tag. Sich auf dem Fahrrad den Wind um die Nase wehen lassen, die Sonne genießen. Und einkehren, versteht sich. Auch die Mönche wussten ja ein gutes Bier zu schätzen. Nach einem Blick auf www.moenchsweg.de steht meine Route fest: von Bad Segeberg über Bornhöved bis nach Plön. Gut 50 Kilometer, im gemächlichen Tempo und mit mehreren Pausen. An einem Freitagmorgen schwinge ich mich aufs Rad.

Mit der Bahn geht es von Kiel nach Neumünster und dann weiter nach Bad Segeberg. Vom Bahnsteig sind es nur wenige Minuten bis zu meinem ersten Etappenziel: der Marienkirche. Als ich auf dem Kirchenvorplatz ankomme, bricht die Sonne durch die Wolken. Ein gutes Omen, denke ich. Die Marienkirche gehört zu den ältesten Backsteinkirchen. Sie entstand in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als Klosterkirche des Augustiner-Chorherrenstifts – eine Gründerkirche, die während der Christianisierung erbaut wurde. Die dreischiffige Basilika ist wunderschön. Besonders beeindruckend ist der gotische Altar aus dem 16. Jahrhundert, der auf vier Flügeln die Leidensgeschichte Jesu Christi zeigt. Ich bin allein in der Kirche, sitze in der ersten Reihe zwischen kräftigen Säulen und freue mich über das Vormittagslicht, das durch die bunten hohen Fenster kommt. Nur das Ticken einer uralten Wanduhr durchbricht die Stille. Auch hier also vergeht die Zeit. Nur habe ich das Gefühl: Hier rast sie nicht, sondern schreitet voran. Ein gutes Gefühl. „Wie wir arbeiten, wie wir schlafen, wie wir mit der Zeit umgehen und mit unseren nächsten Menschen, alles hängt mit unseren Überzeugungen zusammen“, lese ich in der Broschüre „Glauben im Alltag“, die neben dem Eingang ausliegt. Der Augustinermönch Vicelin, der hier erstmals eine Kirche errichten ließ, hätte dem sicher zugestimmt. Wieder draußen in der Sonne, hole ich mir bei einem Bäcker am Marktplatz einen Kaffee und setze mich an den großen Brunnen, in dessen Mitte eine stilisierte Frauenfigur steht, die wie eine aus dem Wasser gestiegene Nymphe aussieht. Ich trinke meinen Kaffee und genieße den Moment, bevor ich wieder auf mein Rad steige.

Rasten in Rickling

Nach einigen Kilometern des Radelns habe ich meinen Rhythmus gefunden. Bei konstanter Geschwindigkeit hat das fast schon etwas Kontemplatives. Kurz hinter der Abzweigung nach Negernbötel kreuzen einige Junghirsche meinen Weg. Für einen Moment beobachten sie den Radfahrer ganz genau. Dann sind sie auch schon wieder hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Weiter geht es Richtung Nordwesten zur Ricklinger Landbrauerei. Es ist Mittagszeit, als ich dort vorfahre. Im Biergarten begrüßt mich Junior-Chef und Braumeister Sascha Lämmer. Ich erfahre, dass hier in Rickling alle Biere ausschließlich in Handarbeit entstehen. Die allermeisten braut Lämmer mit Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Zusätzlich haltbar gemacht sind sie nicht, deswegen sollten sie innerhalb von wenigen Wochen ausgetrunken werden. Etwa 1.000 Hektoliter untergäriges Bier werden pro Jahr in Rickling produziert. Über das Jahr verteilt bietet die kleine Brauerei 17 Sorten an: Neben Pils, malzigem Dunkel und süffig-süßem Märzen sind es Bock-, Kräuter- und Rauchbiere, hopfenintensives Stout und ein Honigbier, der Imkertrunk. Beim kurzen Gang durch die Brauerei erläutert Sascha Lämmer den Brauvorgang – vom Mahlen des Malzes über das Einmaischen, das Abläutern, das Kochen, die weitere Hopfenzugabe bis hin zum Gären und zum Abfüllen per Hand. So ähnlich haben es die Mönche früher auch gemacht.

Ich bestelle ein großes Mai-Bockbier, das Tagesgericht Labskaus und setze mich auf den schönsten Platz im Biergarten. Der Gerstensaft ist geschmacksintensiv, hat einen vollen Körper und ist lange am Gaumen zu spüren. Ein tolles, frisches Bier! Und das Labskaus schmeckt richtig lecker. Nach einigen Minuten ertappe ich mich bei einem tiefen, zufriedenen Seufzer: Mein Ausflug ist jetzt schon schöner, als ich ihn mir vorgestellt habe.

Nach einigen Minuten ertappe ich mich
bei einem tiefen, zufriedenen Seufzer: Mein Ausflug ist jetzt schon
schöner, als ich ihn mir vorgestellt habe.

Picknick auf Gut Pettluis

Frisch gestärkt geht es weiter Richtung Nordosten. Mit etwa 20 Stundenkilometern nähere ich mich dem Waldgebiet Trappenkamp. Hier fand 1227 eine der wichtigsten Schlachten Schleswig-Holsteins statt: der Feldzug des Schauenburger Grafen Adolf IV. gegen die Dänen. Das Heer des Schauenburgers siegte und das Christentum konnte sich danach weiter entfalten. Nach knapp zehn Kilometern komme ich zum Gut Pettluis. Da im Internet zwei Ferienwohnungen angeboten werden, wage ich den Weg auf das Privatgrundstück und treffe dort auf ein freundliches Paar: Andrea und Christian Wätjen, die Inhaber des Gutes. Die Hausherrin weiß, dass Pettluis aus einer sehr alten slawischen Siedlung hervorgegangen ist und sein Name aus dem slawischen Begriff für „am Holze“ abgeleitet ist. Hier verlief der Limes Saxoniae zwischen den germanischen Sachsen und den slawischen Wenden, bis Vicelin, der Apostel der Wenden, im 12. Jahrhundert die Christianisierung voranbrachte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg machte Graf Detlev Rantzau aus Pettluis einen Meierhof. Georg Wilhelm Arnemann erbaute 1839 das Herrenhaus. Seit den 1980-er Jahren bewirtschaftet Christian Wätjen das Gut, Anfang der 1990er-Jahre kaufte er es schließlich gemeinsam mit seiner Frau Andrea und restaurierte das unter Denkmalschutz stehende Herrenhaus. So viel Geschichte macht Appetit auf ein Picknick: Ich darf mich mit meiner Decke tatsächlich auf die schöne Wiese vor dem Herrenhaus setzen und meinen Proviant genießen. Auf der einen Seite klappert ein Storch oben in seinem Nest. Auf der anderen Seite äsen die Galloway-Rinder der Wätjens. Ich schaue ihnen zu und werde ruhig, sehr ruhig.

Es nehmen, wie es ist

Doch dann will ich weiter. Entlang an blühenden Rapsfeldern komme ich in Bornhöved an der St.-Jacobi-Kirche an. Sie ist geschlossen. Immerhin finde ich im kleinen Park dahinter einen schönen Platz an der Sonne und lese über den heiligen Vicelin, dass die von ihm initiierten Kirchenbauten die kirchliche Topographie in Altholstein und im späteren Ostholstein noch immer prägen. Er ist damit einer der „Kirchenväter“ Nordelbiens. Nach kurzer Pause folgt der für mich schönste Streckenabschnitt der Tour: vorbei an blühenden Obstfeldern am Stocksee und dicht entlang am Großen Plöner See.

In Bosau liegt mein letztes Ziel: die St.-Petri-Kirche. Sie hat buckelige Felssteinwände und steht idyllisch auf einer Halbinsel im Großen Plöner See. Das Gotteshaus ließ Bischof Vicelin 1151/52 erbauen. Es war einige Jahre Sitz des Bistums Oldenburg, daher auch die Bezeichnung „kleinster Dom der Welt“. Leider ist er heute geschlossen, aber das ficht mich nicht an. Im Gegenteil: Ich nehme es, wie es ist. Freue mich über den schönen Blick auf den See und besteige meinen Drahtesel. Am Ende schaffe ich es gerade noch rechtzeitig zum Bahnhof in Plön und springe in den Zug nach Kiel. Geschafft, aber glücklich sinke ich in den Sitz. Meine Kapuzenjacke liegt neben mir, das Fahrrad lehnt gegenüber, die Landschaft gleitet an mir vorbei. War ich je gestresst? Ich kann mich nicht erinnern. Heute ist heute. Und heute war ich Mönch für einen Tag. Auf meinem Fahrrad. Ein gutes Gefühl.

Mönchsweg-App

Wie die Missionierung der Mönche wohl ausgesehen hätte, wenn sie damals schon ein Smartphone gehabt hätten? Wer sich auf den Spuren der Mönche digital begleiten lassen möchte, kann dies ab Sommer 2018 auch mit der neuen Mönchsweg-App tun. Alle Infos dazu sowie Informationen über die Kirchen, Orte, Sehenswürdigkeiten, Unterkünfte und den Fahrradservice auf dem Mönchsweg finden sich auf der Internetseite des Mönchswegs e. V. unter www.moenchsweg.de. Hier gibt es auch eine
interaktive Landkarte.

Kontakt zum Mönchsweg e. V.:
T. 043 51.880 55 73
info@moenchsweg.de

Zur Geschichte des heiligen Vicelin und seiner zahlreichen Kirchbauten ist auf der Internetseite der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte viel Wissenswertes zu entdecken: www.geschichte-s-h.de/vicelin

Tipps zur Einkehr

Die Ricklinger Landbrauerei ist zwischen Mai und August von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Montag ist Ruhetag. Die Sorten für einen Sechserpack Bier (oder auch mehr) können individuell zusammengestellt werden. Weitere Informationen unter www.ricklinger-landbrauerei.de

Ricklinger Landbrauerei
Grüner Weg 1
24635 Rickling
T. 043 28.13 14
info@ricklinger-landbrauerei.de

Das Gut Pettluis erreicht man kurz hinter Daldorf. Über die wechselvolle Geschichte, die Galloway-Zucht, den Reitstall und die zwei schönen Ferienwohnungen gibt es mehr Infos unter www.pettluis.de

Gut Pettluis
Pettluiser Weg 8
24635 Daldorf
T. 045 57.793
pettluis@web.de