Wolfgang Stengel, 76 Jahre, aus Flensburg

Wolfgang Stengel hat als ehemaliger Pastor Erfahrung mit Seelsorge. Seit zehn Jahren arbeitet er bei der Flensburger Bahnhofsmission mit.

Wolfgang Stengel steht in Flensburg auf dem Bahnsteig und hält Ausschau nach Menschen, die seine Hilfe brauchen könnten. Seit zehn Jahren gehört er zum ehrenamtlichen Team der Flensburger Bahnhofsmission und ist dafür als pensionierter Pastor und Eisenbahnfan doppelt geeignet. „Schon als Kind wollte ich Lokführer werden“, erzählt er, „für mich waren das Teufelskerle, wie sie da vorne auf ihren rauchenden und fauchenden Ungetümen standen.“ Auch wenn er die Bahnhofsatmosphäre immer noch liebt, steht jetzt etwas anderes im Mittelpunkt: Menschen helfen, christliche Nächstenliebe praktizieren. „Ich habe ein gutes und privilegiertes Leben geführt. Davon möchte ich gern etwas zurückgeben.“

Elf Jahre lang betreute Wolfgang Stengel in Schenefeld als Pastor eine große Gemeinde, bevor er 1987 auf der Suche nach Veränderung nach Flensburg kam. „In den 1980er-Jahren gab es noch deutlich mehr Anwärter*innen als Stellen. Meine Frau war auch Pastorin – wir haben uns im Studium im Hebräischkurs kennengelernt – und da hieß es: Die Stengels bekommen zusammen eine Stelle, also jeweils eine halbe.“ Er übernahm dann das Schulpfarramt an der Goetheschule, war Ansprechpartner, Seelsorger, Religionslehrer. „Mein Ziel war immer, dass die Schülerinnen und Schülern auch andere Glaubensrichtungen als die christliche Religion kennenlernen. Ich wollte sensibilisieren für Seinsfragen.“ Wolfgang Stengel ist nicht nur ein großer Eisenbahnfan, sondern hat auch jahrzehntelang leidenschaftlich Musik gemacht. Er spielte in einem Posaunenchor Trompete, schloss sich einer Dixie-Combo an und lernte dafür sogar ein neues Instrument, die Tuba. Bis Corona kam: „Während der Pandemie konnten wir nicht mehr in der Aula in Glücksburg proben. Zwei Jahre habe ich überhaupt nicht mehr gespielt. Darüber ist mir die Kraft in der Muskulatur verloren gegangen, die für den Mundansatz bei einem Blechblasinstrument nötig ist.“

„Wir begegnen allen Menschen mit Respekt und Wertschätzung.“

So bleibt nun zumindest mehr Zeit, um sich den Aufgaben als Mitarbeiter der Bahnhofsmission zu widmen: „Grundsätzlich sind wir für jede*n da. Reisenden bieten wir eine helfende Hand.“ Ein Beispiel: Ein Mensch mit körperlichen Einschränkungen braucht bei einer langen Zugfahrt mit mehrmaligem Umsteigen Hilfe. Dann kontaktiert Stengel die Bahnhofsmissionen an den Umstiegsstationen, um eine Unterstützung sicherzustellen. „Aber zu uns kommen auch Obdachlose oder Menschen in sozial schwierigen Situationen. Denen bieten wir Kaffee, Tee, belegte Brote, Zuspruch oder einfach nur ein Gespräch an. Das Wichtigste ist, dass wir allen Menschen mit Respekt und Wertschätzung begegnen.“ Genauso wichtig sei es, auch die Grenzen der eigenen Tätigkeit zu kennen. „Wenn sich jemand mit Depressionen an uns wendet, dann vermitteln wir die Person natürlich an eine kompetente Stelle weiter. Oder: Wir können Obdachlosen keine Übernachtung anbieten, aber wir wissen, wo sie Berechtigungsscheine bekommen, und wir legen ihnen den Tagestreff des Diakonischen Werks nahe.“

Als Wolfgang Stengel vor einem Jahrzehnt zur Bahnhofsmission in Flensburg gestoßen ist, waren die Ehrenamtsstellen noch gut besetzt. „Zu den besten Zeiten waren wir zu zwölft und konnten zehn Schichten pro Woche anbieten.“ Das hat sich geändert. Mittlerweile sind es nur noch sieben Schichten je vier Stunden. Neun Personen zählt das Team aktuell, weitere wären wünschenswert. Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit erfordert, aber auch für große Zufriedenheit sorgen kann. „Fast alles, was mir hier begegnet, ist mir aus der Gemeindearbeit bekannt. Aber hier ist es intensiver. Früher habe ich vor allem Nächstenliebe gelehrt und gepredigt, hier praktiziere ich sie. Ich gebe etwas, aber ich bekomme auch viel zurück. Es ist eine Win-win-Situation.“