Dagmar Greiß, 75 Jahre, aus Bad Oldesloe
Um die Obstbäume und Blumen im Garten des Bella Donna Hauses schwirren Insekten in allen Farben, Formen und Größen. Diese Emsigkeit steht Pate für das Begegnungszentrum in Bad Oldesloe, aber auch für Dagmar Greiß selbst, die wir heute hier treffen. Vieles hat sie bewegt – und tut es noch immer. Aufgewachsen in einer Dithmarscher Arbeitersiedlung der 1950er-Jahre sah sie sich früh konfrontiert mit gesellschaftlichen Missständen. Armut, Kriegstraumata und Gewalt prägten das Umfeld. Von ihrem Vater, einem engagierten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler, habe sie das „Gerechtigkeitsgen“ geerbt, von ihrer Mutter das Durchsetzungsvermögen. Allem voran sei ihr die systematische Benachteiligung von Frauen schon immer ein Dorn im Auge gewesen.
Über Umwege kam Dagmar Greiß zur Sozialpsychologie, wurde Gestalt- und Traumatherapeutin und half unzähligen Frauen, ihre Stimme zu finden – unter anderem im Verein Frauen helfen Frauen Stormarn e. V., den sie mitbegründete. Durch ihr Mitwirken entstand der Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH), ein Dachverband der Anlaufstellen und Notrufe für Frauen im Land. Doch bald wuchs der Wunsch, Räume zu schaffen, in denen Frauen nicht nur Hilfe finden, sondern sich entfalten, vernetzen und sichtbar werden können. „Schleswig-Holstein hat viele imposante Herrenhäuser. Da habe ich beschlossen: Ein Weiberhaus muss her! Zum einen ist der Begriff Frauenhaus ja schon besetzt, zum anderen steckt so schön viel Wucht darin“, sagt Dagmar Greiß. „Aus der Empörung und einem spielerischen Gedanken heraus entwickelte sich eine Idee, von der ich bei Gelegenheit anderen Frauen berichtete. Und aus einem ‚Au ja, mach das mal‘, wurde plötzlich ein ‚Au ja, das machen wir!‘“
„Ich war wild entschlossen, die Welt zu verändern.“
Zusammen mit ein paar Mitstreiterinnen gründete sie einen Verein und stürzte sich in die Arbeit. „Wir haben 2002 mithilfe von Spenden, Darlehen und Krediten das hässlichste Haus in Bad Oldesloe gekauft und mit unseren eigenen Händen etwas Wunderschönes daraus geschaffen. Ein Schuss Größenwahn war womöglich auch dabei“, räumt sie ein und lacht. Das Bella Donna Haus dient heute als Begegnungsstätte von Frauen für alle. Es ist ein Ort für Arbeit, Begegnung, Kultur und Soziales und vereint verschiedene Mieterinnen unter einem Dach: unter anderem die Beratungsstelle des Vereins Frauen helfen Frauen, einen Weltladen, eine Heilpraxis und sogar ein Restaurant. Hinzu kommen Kurse sowie Veranstaltungen – von der Kunstausstellung bis zum Konzert. „Hier die Fülle des Frauenlebens zu präsentieren, war mir immer ein willkommenes Gegengewicht zur traumatherapeutischen Arbeit. Außerdem sehe ich es als einen Lernort, um das Miteinanderauskommen, Toleranz und gegenseitige Wertschätzung zu üben. Unser Frauenteam ist sich vielleicht nicht in jedem Punkt einig, aber wir finden gemeinsam immer eine Lösung.“
Was Dagmar Greiß antreibt, ist mehr als Fürsorge. Es ist eine tief verwurzelte Überzeugung, dass ein gerechtes Miteinander möglich ist. Das Bella Donna Haus hat ihrer Vision ein dauerhaftes Zuhause gegeben. Offiziell hat sich die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes in den Ruhestand verabschiedet, ist aber nach wie vor regelmäßig vor Ort und begleitet die Initiative mit klarem Blick und milder gewordenem Herzen. „Mit Mitte 20 war ich kämpferisch und wild entschlossen, die Welt zu verändern. Ein halbes Jahrhundert später gehe ich die Dinge besonnener an, auch wenn die Ideale dieselben geblieben sind.“ Welches Ich würde sich in einer Diskussion durchsetzen, das jüngere oder das ältere? „Schwer zu sagen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns gut verstehen würden!“ Zufriedenheit und Hoffnung prägen ihren Blick, trotz aller Sorgen um die aktuelle Weltlage. Das Bella Donna Haus gibt Zuversicht, dass Wandel möglich ist.
