Radwandern im norddeutschen Postkartenidyll

Mittlerweile musste jeder von uns mindestens einmal selbst erleben, wie es ist, in Corona-Zeiten Geburtstag zu haben. Stolze 125 Kerzen durfte dieses Geburtstagskind bereits 2020 auspusten: der Nord-Ostsee-Kanal (NOK), international als „Kiel Canal“ bekannt. Die große Feier­­ ist vertagt. Immerhin dürfen wir dem Jubilar einen Besuch abstatten – ausgerüstet mit einer Tasche voll selbstgemachter Snacks, da das gastronomische Angebot entlang des „Mittelscheitels“ Schleswig-Holsteins pandemiebedingt noch eingeschränkt sein mag.

Der NOK ist nicht nur ein Wahrzeichen des Nordens. Die 98,6 Kilometer lange und 11 Meter tiefe Verbindung zwischen Nord- und Ostsee ist eine der Hauptverkehrs­adern Nord­europas und sogar die meistbefahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt. Diese Abkürzung erspart einen Umweg von etwa 460 Kilometern, was jedes Jahr rund 30.000 Schiffe und 12.000 Sportboote nutzen. Ob die 8.000 Arbeitskräfte, die in acht Jahren Bauzeit über 80 Millionen Kubikmeter Erde bewegten, geahnt haben, ­welchen Stellenwert ihr damaliger Kaiser-Wilhelm-Kanal erlangen würde? Die Korken hätte man vermutlich nur bedingt knallen lassen, schließlich hatte Wilhelm II. zur Finanzierung rückwirkend die Schaumweinsteuer eingeführt.

Ideale Bedingungen schafft der NOK übrigens auch für Spaziergänger*innen, Jogger*innen und Radler*innen. Die NOK-Radwanderroute ist in sechs Tagesetappen unterteilt, aus denen wir uns die letzte herausgepickt haben.

10.30 Uhr

Seitenwechsel

Auf uns warten 50 gut ausgeschilderte Kilometer, die uns am NOK entlang sowie durch sein beschauliches Hinterland führen. Jetzt wollen wir erst einmal ein bisschen „Strecke machen“! Von Kiel/Kronshagen aus starten wir Richtung Kanal und radeln auf seiner Südseite gen Westen. Vielleicht bietet sich zum Auftakt die Gelegenheit für ein erstes kleines Wettrennen mit den Schiffen, die auf dem NOK mit maximal 15 Kilometern pro Stunde unterwegs sein dürfen. Verschnaufen können wir, sobald wir Landwehr erreichen. Hier setzen wir mit der 1960 gebauten Doppelendfähre „Kolberg“ kostenlos ans andere Ufer über.

11.55 Uhr

Immer der Nase nach

Ab Mai weht uns der Duft von frischen Erdbeeren entgegen, sobald wir uns Gut Warleberg nähern. Der Familienbetrieb versorgt mit seinem Hofladen und den Verkaufsständen ganz Kiel und Umgebung mit frischem Obst sowie vielen anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Wer selbst pflücken möchte, darf sich auf der Obstplantage austoben, im Anschluss „die Früchte seiner Arbeit“ und den herrlichen Blick auf unseren heutigen Hauptdarsteller genießen. Denn der Kanal liegt uns auf Gut Warleberg buchstäblich zu Füßen.

Mehr Infos unter www.warleberg.de

12.15 Uhr

Mittagssnack mit Seefahrerromantik

Zu frischem Obst passt etwas Fluffiges besonders gut:

Möhren-Orangen-Waffeln
Man nehme für 2–3 Personen: 200 g Bio-Möhren, 1 Bio-Orange, 120 g weiche Butter, 100 g Zucker, 1 Päckchen Vanillinzucker, Salz, 3 Eier, 250 g Mehl, 1 TL Backpulver, 2 EL Milch

Und so geht’s: Möhren schälen und fein raspeln, Orange heiß abwaschen und abtrocknen. Äußere Schicht der Schale abreiben. Abrieb und Butter in einer Rührschüssel 5 Minuten aufschlagen. Zucker, Vanillinzucker und 1 Prise Salz beim Mixen zufügen. Eier unterrühren. Mehl, Backpulver, Möhrenraspel und Milch vermengen und zur Butter-Eier-Masse geben. Teig im gefetteten Waffeleisen backen. Waffeln kurz abkühlen lassen und in Butterbrotpapier wickeln. Yammi!

12.45 Uhr

Kopf hoch!

Während einige Schiffe beim Passieren der Brücken des NOK den Kopf einziehen (das heißt den Schornstein einklappen) müssen, recken wir den Kopf nach oben, sobald die Levensauer Hochbrücke in Sichtweite kommt. Die älteste der insgesamt zehn Kanalbrücken ist nämlich seit Jahrzehnten das Winterlager für viele Tausend Fledermäuse. In den alten geräumigen Türmen, in welche die Stahlbögen der Brücke eingespannt sind, lässt es sich offensichtlich bestens „abhängen“. Eine richtige Multikulti-Gesellschaft aus Großen Abendseglern, Zwergfledermäusen, Wasser-, Teich- und Breitflügelfledermäusen überwintert hier einträchtig. Die alte Brücke wird derzeit durch einen Neubau ersetzt, die Türme aber bleiben als Fledermaus-Habitat erhalten.

Die Baustellenumleitung ist ausgeschildert, weitere Infos dazu unter
www.nok-route.de

13.20 Uhr

Herrschaftszeiten!

Großsteingräber aus der Jungsteinzeit verraten uns, dass sich bereits vor Tausenden von Jahren an der Stelle Siedler niederließen, wo heute das Gut Projensdorf liegt. Das erstmals 1378 urkundlich erwähnte Gut mit seinem prächtigen Herrenhaus gehört zu den Blickfängen am Wegesrand unserer Route. Einige Fahrradminuten später folgt das noch etwas ältere Gut Knoop. Gründer soll ein Wulf oder Wolf von Knoop gewesen sein. Der Wolf schmückt noch heute das Wappen der Gemeinde Altenholz. Das Anwesen wechselte über die Generationen hinweg mehrfach den Besitzer, darunter auch der dänische König Christian IV. Das Gutshaus, das zu den herausragenden Bauwerken des Klassizismus zählt, kann nach Anmeldung besichtigt werden.

Infos unter www.gut-projensdorf.de und www.gut-knoop.de

13.40 Uhr

Aromatischer Zaubertrank

Wir suchen uns eine Bank, packen die Thermoskanne aus und genießen den Blick auf vorbeiziehende Schiffe – vom „dicken Pott“ bis zum kleinen Segler ist alles dabei.

Hausgemachter Chai Latte

Man nehme für 300 ml: 2 Teebeutel Schwarztee, 1 Teebeutel Ingwertee (alternativ: 0,5 TL Ingwer-Gewürz oder frischer Ingwer), 200 ml Milch, Kurkuma, schwarzer Pfeffer, Honig oder Ahornsirup

Und so geht’s: Schwarztee und Ingwertee mit 300 ml Wasser aufkochen. Mit 1 Messerspitze Kurkuma-Gewürz und 1 Prise schwarzem Pfeffer würzen und ca. 10 Minuten köcheln lassen. 200 ml Milch hinzugeben und kurz ziehen lassen. Mit Honig oder Ahornsirup süßen. Das wärmt, erfrischt und entspannt zugleich – und stärkt sogar die Abwehrkräfte!

15.15 Uhr

Flüssiges Nadelöhr

Am östlichsten Zipfel unserer Route­
wartet der vielleicht hübscheste Streckenabschnitt: der Tiessenkai mit seinen historischen Seglern und den schmucken Kapitänshäuschen. Namensgeber war der früher hier angesiedelte Schiffsausrüster Hermann Tiessen. Mittlerweile befindet sich das beliebte „Schiffercafe“ in den traditionsreichen Räumlichkeiten. Es gehört zu den Kulturdenkmälern Holtenaus, ebenso wie der Leuchtturm aus rotem Backstein, der unmittelbar an der Einfahrt zur Kanalschleuse in den Himmel ragt. Vom Holtenauer Leuchtturm aus laufen viele Paare in den Hafen der Ehe ein. In sein Fundament ist der Grundstein des NOK eingemauert. Im Inneren, der Drei-Kaiser-Halle, sind Gedenktafeln und Reliefs von Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. zu bestaunen.

Aktuelle Öffnungszeiten und Angebote unter www.schiffercafe-kiel.de

16.00 Uhr

Leuchtendes Wahrzeichen

Eigentlich endet hier unsere Route. Wir verlängern unseren Ausflug aber um einen weiteren Haltepunkt und setzen dafür mit der putzigen Holtenauer Personenfähre, die fast schon trotzig zwischen den riesigen Con­tainerschiffen hin und her fährt, noch einmal auf die andere Seite über. Wenige hundert Meter links vom Ausstieg, auf dem Dach eines Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg, liegt die Aussichtsplattform an der Schleuse. Gegen einen Obolus am Automaten darf man auf die Plattform und kann sich aus nächster Nähe anschauen, wie die Schiffe ein- und ausgeschleust werden. Schautafeln und Modelle veranschaulichen Technik und Historie rund um Schleuse und NOK.

Mehr unter www.maritimesviertel.de

16.45 Uhr

Bis hierher gerollt

Bevor wir uns mit einem Schlenker durchs angrenzende Anscharviertel, maritimes Kleinod nahe NOK und Kieler Förde, auf den Heimweg machen, zaubern wir noch eine letzte Stärkung aus dem Fahrradkorb.

Tortilla-Lachs-Röllchen
Man nehme für 2–3 Personen: 3 Weizentortillas, 300 g Räucherlachs, 1 Bund Dill, 300 g Frischkäse mit Joghurt, 1 Bio-Zitrone, einige Blätter Eisbergsalat, Salz und Pfeffer

Und so geht’s: Dill waschen, trockenschütteln und fein hacken. Frischkäse mit Dill, dem Saft einer halben Zitrone sowie etwas Schalenabrieb verrühren. Mit Salz und Pfeffer würzen. Tortillas mit der Creme bestreichen, dabei am oberen Rand 1 cm frei lassen. Mit Lachs und Salatblättern belegen und eng aufrollen. In Frischhaltefolie wickeln und einige Stunden kaltstellen. Die Rollen jeweils in 4–5 Stücke schneiden.

Anfahrt mit der NAH.SH

Von Neumünster, Flensburg oder Lübeck fährt der RE 72 über Kiel Hbf bis zum Bahnhof Kiel-Suchsdorf, von wo es nicht weit ist bis zum Startpunkt der Route. Auf dem Rückweg in Richtung Kiel Hauptbahnhof lässt man die Kieler Hörn immer links liegen und genießt den schönen Blick vom Fahrradweg aus. Bei allen Bahn- und Fährfahrten: Medizinischen Mund-Nasen-Schutz nicht vergessen!

Mehr Infos zu der hier beschriebenen Tour sowie fünf weiteren Tagesetappen unter www.nok-route.de