Freiwilliges Engagement in Schleswig-Holstein

Sportgruppen anleiten, Lebensmittel retten, das örtliche Freibad vor der Schließung bewahren: 43 Prozent der Schleswig-Holsteiner*innen engagieren sich außerhalb von Familie und Beruf. Das zeigt die im Juni veröffentlichte Länderauswertung des aktuellen Deutschen Freiwilligensurveys, erhoben vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. Ob als klassisches Ehrenamt, flexibles Engagement oder einmaliger Kurzzeiteinsatz: Die Möglichkeiten, sich zu engagieren, sind so vielseitig wie nie. Ebenso unterschiedlich sind die Menschen, die freiwillig und unentgeltlich ihre Zeit für andere einsetzen.
Damit so viel Bereitschaft nicht verpufft, haben sich unter anderem Freiwilligenagenturen und Ehrenamtsbüros gegründet – sozusagen das Hauptamt für das Ehrenamt. Unsere los!-Reporterin war im Land unterwegs und hat Ehrenamtliche und Unterstützer* innen nach ihren Aufgaben und ihrer Motivation befragt.

Anna-Lilja Moll, Flensburg

„Freiwilliges Engagement ist für mich eine sehr schöne Art, meine Freizeit zu verbringen und das Leben in der Stadt mitzugestalten!““

Anna-Lilja Moll, ehrenamtlich Engagierte und Ehrenamtsberaterin aus Flensburg

Mitgestalten können, auf Ressourcenverschwendung aufmerksam machen, Chancengleichheit und Nachhaltigkeit fördern und dabei interessante Menschen kennenlernen – das ist das Motivationspaket, das Anna-Lilja Moll antreibt, sich freiwillig zu engagieren. „Ich bin ehrenamtlich engagiert, seit ich zwölf bin“, sagt die heute 40-Jährige. Als Schülerin in Dortmund hat sie bei einem Obdachlosenfrühstück geholfen und als ehrenamtliche Komiteevorsitzende beim American Field Service Jugendliche begleitet, die sich bei der gemeinnützigen Jugendaustauschorganisation für einen Auslandsaufenthalt beworben haben. Nach ihrem Umzug nach Hamburg hat Anna-Lilja Moll in einem offenen Treff einer Wohnungsbaugenossenschaft unter anderem Kleidertauschbörsen organisiert. Seit 2014 ist sie bei foodsharing aktiv, einer bundesweiten Initiative zur Rettung von Lebensmitteln. Dieses Engagement hat sie auch mit nach Flensburg genommen, wo sie heute mit Mann und Kind lebt. „Der Vorteil beim Foodsharing: Jede*r kann selbst entscheiden, wann und wo sie oder er sich einsetzen möchte.“ Dieses Jahr ist ein weiteres Ehrenamt dazugekommen: Einmal im Monat sorgt die Wahl-Flensburgerin mit einer Freundin dafür, dass das Tausch und Plausch – eine Art Kleiderkammer für Kinderkleidung und -utensilien – auch an einem Abend geöffnet hat. „Ich bin selbst gern da und möchte mehr Menschen ermöglichen, es zu nutzen. Für mich ist es eine klasse Kombination aus Ressourcenschonung durch Secondhandnutzung und sozialem Miteinander.“ Ohnehin sei der Plausch eine wichtige Komponente. „Freiwilliges Engagement ist für mich eine sehr schöne Art, meine Freizeit zu verbringen und das Leben in der Stadt mitzugestalten!“ Und auch beruflich hat die selbständige Nachhaltigkeitsberaterin Anknüpfungspunkte zum ehrenamtlichen Engagement: Als Prozessbegleiterin im Rahmen des Programms Engagiertes Land berät sie ehrenamtliche Gruppen, wie sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig stärken können. Sie zeigt, wie sie Netzwerke aufbauen und sich jede*r Einzelne als Teil der Gruppe fühlt – „für mich ein ganz wichtiges Moment beim freiwilligen Engagement“. Seit einigen Monaten ist Anna-Lilja Moll außerdem ehrenamtlich Mitglied in der Steuerungsgruppe des Netzwerks Engagiert in Flensburg.

„Eine gute Idee, motivierte Mitstreiter*innen und viel Spaß an der Sache. Einfach machen eben!“

Peter Böge, engagierter Rentner aus Lägerdorf

Wenn Peter Böge durch Lägerdorf fährt, wird er von fast allen gegrüßt. Hier und da gibt es einen kurzen Schnack. Peter Böge ist hier geboren. Dass ihn hier jede*r kennt, liegt aber auch an seinem Engagement. Seine 2.700 Einwohner*innen große Heimatgemeinde bedeutet ihm viel. Er setzt sich dafür ein, dass er und andere Menschen gern hier leben. „Ich habe nie ein Ehrenamt gehabt – ich habe es einfach gemacht!“ Schon in den 1990er-Jahren hat er bei den Lägerdorfer Altherren-Fußballern dafür gesorgt, dass aktive und passive Vereinsmitglieder gemeinsam etwas unternehmen. Eine Idee: „Wir treffen uns am 3. Advent an einem öffentlichen Ort, trinken Glühwein und singen Weihnachtslieder.“ Gestartet mit etwa 40 singenden Altkickern brachten sich bald rund 150 liederschmetternde Lägerdorfer*innen jeden Dezember gemeinsam in Feststimmung. 2003 entwickelte sich daraus der Weihnachtsmarkt: Jeder Verein hat einen Stand, um 17 Uhr wird zusammen gesungen. „Ich habe Ideen, ein großes Netzwerk, und ich kann gut Menschen verbinden und motivieren“, sagt Peter Böge. Die wichtigste Mit-Macherin an der Seite des 69-Jährigen ist seine Frau Hanni. Mit dem Bastelclub Flinke Schere setzt sie so manche Idee mit in die Tat um. Eine weitere Initiative des sportlichen Rentners: der Silvesterlauf. Premiere war 2002, heute sind weit über 1.000 Menschen am Start.

Und dann kam es doch noch, sein erstes offizielles Ehrenamt: Als die Gemeinde 2005 aus Kostengründen das Freibad schließen wollte, hat Peter Böge wieder einmal gezeigt, dass er kein „Man-sollte-mal-Mensch“ ist. Mit zahlreichen Mitstreiter*innen hat er 2006 den Förderverein Lägerdorfer Freibad ins Leben gerufen. Seit 2012 ist er der Vorsitzende. Ehrenamtlich haben die Mitglieder das marode Bad zu einem der schönsten Freibäder Schleswig-Holsteins gemacht. Bis heute sind Herbst und Winter die Zeit, in der der Förderverein neue Ideen für das Bad erarbeitet. Umgesetzt wurden schon die Outdoor-Kabinen, das große Sonnensegel, die Mülltrennung …

Peter Böges jüngster Clou: die Umgestaltung des immer weniger genutzten Tennisplatzes zu einem Sportpark. Nachdem er einen Bericht über Hobbyhorsing gesehen hatte – ein Sport, bei dem Kinder auf einem Steckenpferd durch einen Parcours reiten –, war er überzeugt: Das ist das Richtige für den Teil des Platzes, der brachliegt! Als Hanni Böge die ersten Steckenpferde gebastelt hatte und Nachbarin Christel Stange als Trainerin einstieg, nahm die Idee Konturen an. Inzwischen ist der Lägerdorfer Tennisplatz die Hochburg für Hobbyhorsing in Schleswig-Holstein. Peter Böges Erfolgsrezept: Eine gute Idee, motivierte Mitstreiter*innen und viel Spaß an der Sache. Einfach machen eben!

Peter Böge, Lägerdorf

„Wir Hauptamtlichen organisieren das Engagement nicht. Wir schaffen Strukturen, um die Engagierten zu unterstützen.“

Catarina Mierwald, Team Engagement der Stadt Flensburg

Das hauptamtliche Team Engagement der Stadt Flensburg, das sind Katharina Bluhm und Catarina Mierwald, zusammen mit Elena Pauly. Alle drei arbeiten in Teilzeit. Insgesamt hat die Stadt eine ganze Stelle für den Bereich geschaffen. Zum Pflichtprogramm einer Verwaltung gehört das nicht. Das Büro des Teams liegt im 13. Stock des Rathauses, Panoramablick inklusive. „Gefühlt ist Flensburg für viele ja ein Dorf. Aber unsere Engagement-Landschaft ist groß und bunt, mit allein über 700 Vereinen und Initiativen“, berichtet Katharina Bluhm. Dass die Hilfsbereitschaft groß ist, hat sich besonders 2015 gezeigt. Als etliche geflüchtete Menschen aus Syrien nicht wie geplant nach Dänemark und Schweden weiterreisen konnten, wurde der Flensburger Bahnhof innerhalb weniger Stunden zu einem beeindruckenden Beweis dafür, wie schnell freiwillig engagierte Menschen funktionierende Hilfsstrukturen aufbauen. „Diese Strukturen sind bis heute vorhanden und vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges erneut eine große Hilfe“, so Katharina Bluhm.

Seit 2015 nimmt Flensburg am bundesweiten Programm Engagierte Stadt teil. Als erste Stadt in Schleswig-Holstein hat die Fördestadt 2021 eine Engagementstrategie erarbeitet. „Die Menschen engagieren sich auch ohne uns. Wir Hauptamtlichen organisieren das Engagement auch nicht“, erklärt Catarina Mierwald, „wir schaffen Strukturen, um die Engagierten zu unterstützen.“ Anerkennung und Wertschätzung ehrenamtlicher Leistungen steht dabei ganz oben auf der Agenda. Mit Angeboten wie dem Tag des Ehrenamtes und dem Flensburg-sagt-Danke-Fest mit Kultur- und Erlebnisgutscheinen will die Stadt die Zivilgesellschaft stärken. Ein weiteres Arbeitsfeld: Qualifizierung. In Flensburg wird sie unter anderem über die Ehrenamtsakademie und die Basisschulung für Ehrenamtliche angeboten – ein Leuchtturmprojekt, zu dem das Team auch von anderen Kommunen um Rat gefragt wird. Darüber hinaus stellt die Stadt praxisorientierte Unterstützungsangebote zur Verfügung. Gebündelt sind alle Informationen auf der Online-Plattform von Engagiert in Flensburg, dem lokalen Netzwerk aus Flensburger Zivilgesellschaft, Verwaltung, Politik und Wirtschaft.

Catarina Mierwald (oben) und Katharina Bluhm (links) arbeiten beim Team Engagement der Stadt Flensburg

Alexandra Hebestreit, Kiel 

„Der Wunsch, sich zu engagieren und Gesellschaft mitzugestalten, ist ungebrochen und steigt sogar!“

Alexandra Hebestreit, Leiterin des Kieler Ehrenamtsbüros nettekieler

Engagierten den Rücken zu stärken, ist auch das Ziel der nettenkieler. Das Ehrenamtsbüro der Landeshauptstadt hat sich 2006 aus einer ehrenamtlichen Initiative gegründet. Heute sind hier fünf hauptamtliche Mitarbeiter*innen beschäftigt. Hinter den nettenkielern steht als Träger die Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Kiel. Finanziert wird das Büro über Zuwendungen der Stadt sowie Spenden und Projektfinanzierungen, unter anderem des Landes Schleswig-Holstein.Wie im Flensburger Team geht es auch in Kiel darum, Menschen, die sich engagieren möchten, und Einrichtungen zu beraten, Projekte zu unterstützen, Schulungen anzubieten und in der Öffentlichkeit die Werbetrommel für das Ehrenamt zu rühren. „Der Wunsch, sich zu engagieren und Gesellschaft mitzugestalten, ist ungebrochen und steigt sogar!“, beobachtet Alexandra Hebestreit, seit 2014 Leiterin des Kieler Ehrenamtsbüros. Ihre Aufgabe sieht sie auch darin, gute Rahmenbedingungen für Engagement sicherzustellen. 

Das klassische Ehrenamt, zum Beispiel in Vereinen, sei nach wie vor nachgefragt. Es werde jedoch schwieriger, zeitaufwändigere und verantwortungsvolle Ehrenämter wie Vorstandsposten zu besetzen. Das Vereinswesen schreibt diese Ämter aber vor. „Wir sollten neue Wege gehen, zum Beispiel über Kooperationen.“ Gleichzeitig nimmt das informelle Engagement in Initiativen oder bei spontanen Aktionen, etwa im Bereich der Flüchtlings-, Corona- und Fluthilfen, stark zu. Dass manchmal die Engagementbereitschaft von Studierenden durch enge Studienpläne ausgebremst wird, sieht Alexandra Hebestreit ebenfalls als Hürde. „Hier müssen Konzepte wie ‚Lernen durch Engagement‘ stärker in Studien- und Schulpläne integriert werden.“ Und dann sind da noch weitere Herausforderungen: die Überalterung der Gesellschaft, Inklusion im Ehrenamt und die Tatsache, dass sich aus sozialen und finanziellen Gründen nicht jede*r ein freiwilliges Engagement leisten kann … Eines steht fest: Aufgaben gibt es genug! 

Infos zu den nettenkielern gibt es unter www.nette-kieler.de. Die engagierten Flensburger präsentieren sich unter www.engagiert-in-flensburg.de. Um den Austausch zu fördern und die gute Sache auch gegenüber der Politik vertreten zu können, hat sich zudem 2022 die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Schleswig-Holstein gegründet. Mehr unter www.engagiert-in-sh.de und www.lagfa-sh.de.