So kommt neues Leben in die Innenstädte

Leerstehende Läden, geschlossene Cafés, verwaiste Fußgängerzonen: Die Verödung der Zentren ist in vielen deutschen Städten ein Problem. Keine Frage: Die City muss sich mancherorts neu erfinden. Doch wie sehen sie aus, die Innenstadtkonzepte für die Zukunft? Und welche Erfolge gibt es bei der Neu- und Zwischennutzung leerstehender Gewerbeflächen? los! war in der Landeshauptstadt Kiel und in der Kreisstadt Heide unterwegs, hat mit Innenstadtmanager*innen gesprochen und sich vor Ort ein Bild vom Wandel gemacht.

Marcus Meyers Sohn Kian arbeitet in der Kieler Holstenstraße an Holzskulpturen.

Delfine sind zu sehen! Weiter hinten „schwimmt“ ein Hai, davor heulen mehrere Wölfe. Elegant sind die Tierskulpturen alle, geschaffen aus alten Furnierholzschichten, Sperrholzplatten und anderen Materialien aus der Möbelproduktion. Wir sind in der Holstenstraße 22 in Kiel, im Showroom des Künstlers Marcus Meyer. Früher wurden hier Hosen, Blusen und Jacken verkauft, dann stand der Laden lange Zeit leer. Seit einigen Monaten nutzt nun Marcus Meyer die Räumlichkeiten, um hier seine Kunst zu präsentieren. In der Serie „Mensch und Tier“ beschäftigt er sich mit unserem Verhältnis zur Schöpfung und verbindet seine Werke mit einem Appell zur Nachhaltigkeit: „Wir haben keine Zeit. Ich möchte mit meiner Arbeit die Schönheit der Existenz fühlbar machen. Wir müssen reagieren.“ Dass er seine berührenden Kunstwerke auf der traditionellen Einkaufsmeile an der Holstenstraße zeigen kann, ist auch dem Engagement von Janine-Christine Streu und Jonas Godau von der Stadtmarketingorganisation Kiel-Marketing e. V. zu verdanken. Beide sind dort für das Innenstadtmanagement zuständig und kümmern sich unter anderem um Zwischennutzungsprojekte und langfristige Ansiedlungen, die das Leben in der City bunter und attraktiver machen. „Früher war die Innenstadt ein Ort für alle – und so soll sie auch wieder werden, nur deutlich multifunktionaler“, erklärt Janine-Christine Streu, Leiterin Zentrenentwicklung, die sich seit 2017 für die Belebung der Kieler Innenstadt engagiert. „Die Innenstadt muss mehr bieten als noch in den 1980er- und 1990er-Jahren, denn zum Decken des täglichen Bedarfs wird sie heute weniger benötigt. Wir brauchen daher eine reizvolle Symbiose aus Handel und Event.“ Der Stadtbummel soll nicht nur dem Einkauf dienen, sondern zum Erlebnis werden – durch Kulturprojekte, Veranstaltungen, Aktionstage und vieles mehr.

Kieler Kiezgröße gesucht

Tatsächlich sind die Innenstädte seit einigen Jahren weniger stark besucht. Den Läden mangelt es an Kundschaft, denn immer mehr Menschen bestellen ihre Waren im Internet. Die langen Geschäftsschließungen während der Corona-Pandemie haben die Lage noch einmal verschärft. So hat sich das Erscheinungsbild vieler Zentren durch zunehmende Leerstände verschlechtert. „Die Städte müssen aktiver gemanagt werden. Ansonsten ist die Zukunft der Innenstädte in Gefahr“, sagt Michael Reink, Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland. Kiel begegnet dieser Herausforderung mit eigenen Konzepten und der engen Zusammenarbeit von Kiel-Marketing, Kieler Wirtschaftsförderung (KiWi), Stadtplanungsamt und Immobilieneigentümer*innen. Während die KiWi die Verantwortung für die Ansiedlung von Büroflächen trägt, ist die Aufgabe des Innenstadtmanagements, „die gewünschte Multifunktionalität mit eigenen Projekten erlebbar zu machen und bei den Gewerbetreibenden dafür zu werben, die Steigerung der Erlebnisqualität noch stärker in den Fokus zu nehmen“, wie Jonas Godau erklärt. Die Strategie dafür ist im 2021 veröffentlichten Quartiersprofilierungskonzept für die Kieler Innenstadt festgelegt. Es unterteilt die Innenstadt in sechs Quartiere, die jedes für sich einen eigenen Charakter und damit neue Besuchsanreize ausbilden sollen. Um interessante Projekte und Unternehmen aus der Region für die verfügbaren Flächen zu gewinnen, hat Kiel-Marketing gemeinsam mit der KiWi 2021 einen Ideenwettbewerb gestartet: „Kieler Kiezgröße gesucht“. Das Geld dafür kommt unter anderem aus dem Innenstadtprogramm der Landeszentrenförderung. Damit ist Kiel-Marketing in der Lage, als Zwischenmieter aufzutreten und die angemieteten Flächen zu deutlich vergünstigten Konditionen weiterzuvermieten. Bis Ende 2024 stehen dafür 295.000 Euro zur Verfügung.

Andreas Zwanck ist Inhaber des Kieler Ladens derHeimathafen.

Ein Pavillon für die Kreativszene

Die erste Kiezgröße bereichert seit Mai 2022 die obere Holstenstraße: derHeimathafen. Mit ihrem
Mixed-Use-Konzept konnten sich Inhaber Andreas Zwanck und seine Frau Sabine erfolgreich gegen acht Mitbewerber*innen durchsetzen. Die Angebotspalette wird von regionalen und fair gehandelten Produkten bestimmt. Sie reicht von Bio-Wein, Craft-Bier, Organic-Spirituosen, Bio-Feinkost über Naturkosmetik bis hin zu Papeterie, Vinyl-Platten und Vintage-Lieblingsstücken. Regelmäßig werden auch kulinarische Events angeboten. „Wir wollen hier wirklich etwas bewegen und Teil der Transformation zu mehr Nutzungsvielfalt sein“, sagt Andreas Zwanck. Nur einen Steinwurf entfernt liegt der Pop-up Pavillon am Alten Markt. „Das Programm stellen wir gemeinsam mit dem Referat Kreative Stadt zusammen“, erklärt Jonas Godau, während wir auf dem Weg zum Schlossquartier sind. Die Fläche wird der Kultur- und Kreativszene mietkostenfrei zur Verfügung gestellt. „Viele Leute wissen gar nicht, wie viel kreatives Potenzial es bei uns gibt“, sagt der 29-Jährige, dem die Begeisterung für seine Arbeit deutlich anzumerken ist. Seit 2017 wurden in dem Pavillon am Alten Markt mehr als 90 Projekte umgesetzt. Aktuell läuft die Ausstellung „Transmission and transparency“ der Künstlerin Greta Magyar, deren Repertoire großformatige Malerei und verschiedene Formen der Drucktechnik und Collage umfasst.

Highlife zwischen Beet und Fleet

Im Schlossquartier um die Ecke sind in den letzten Jahren barrierearme Wohnungen und Gewerbeflächen für inhabergeführte Geschäfte entstanden. Eine Besonderheit der Schloßstraße ist die lange Reihe von Hochbeeten. „Die haben wir aus Apfelkisten aus dem Alten Land selbst gebaut“, berichtet Jonas Godau. Gepflegt werden die Beete von Anwohner*innen und Gewerbetreibenden, die Beet-Patenschaften übernommen haben. Kurz darauf schlendern wir mit Jonas Godau über den Kehden-Küter-Kiez zum Fleet-Quartier, das sich seit der Fertigstellung des Holstenfleets vor drei Jahren insbesondere in der wärmeren Jahreszeit zu einem echten Anziehungspunkt entwickelt hat. Ein Ankerpunkt ist seit September 2021 das „Jan & Hein & Klaas & Pit“, Kiels größtes Craft-Beer-Restaurant, in dem es neben regionaler Küche mehr als 70 verschiedene Biersorten aus aller Welt zu verkosten gibt. Konzepte wie diese zeigen offensichtlich Wirkung: Auf einer schmalen Brücke über einem Fleet zieht Jonas Godau Bilanz: „2021 und 2022 gab es schon insgesamt 32 Neueröffnungen in der Kieler Innenstadt, hinzu kommen über 20 Zwischennutzungsprojekte in sechs Immobilien in den vergangenen drei Jahren. Im Sommer 2022 toppte die Frequenz in der Holstenstraße sogar das Vor-Pandemie-Niveau von 2019 mit Spitzenwerten von über 30.000 Passant*innen pro Tag.“

Sandra Hief ist Innenstadtmanagerin in Heide. Man könnte auch sagen: Gründungsberaterin, Stadtentwicklerin, Eventplanerin und Vollblut-Netzwerkerin.

Jonas Godau kümmert sich als Innenstadtmanager um die Kieler City.

In Heide ist Bewegung

Zu Besuch in Heide, Kreishauptstadt von Dithmarschen mit rund 21.000 Einwohner*innen, nordseenah und Teil der Metropolregion Hamburg: Direkt am Marktplatz, gegenüber der St.-Jürgen-Kirche, hat in einem historischen Gebäude ein neuer Laden aufgemacht: MARKTBUDE steht in großen Lettern über dem Eingang, „Pop-up-Store meets Coworking Space“. „Hier haben wir in Kooperation mit der Stadt Heide, der FH Westküste und der Industrie- und Handelskammer in bester Lage einen Ort geschaffen, an dem man sich ausprobieren kann“, sagt Sandra Hief, die seit Februar 2022 das Heider Stadtmarketing im Bereich Innenstadtmanagement unterstützt. „Zum einen kann man hier testen, wie die angebotenen Produkte in der Innenstadt laufen, und darauf aufbauend gegebenenfalls ein eigenes Ladenlokal anmieten. Zum anderen bietet der Coworking-Space Studierenden, Freiberufler*innen, Pendler*innen oder Start-ups die Möglichkeit, in der Innenstadt zu arbeiten, neue Projekte zu entwickeln und mit anderen in Kontakt zu kommen.“ Fachkräftesicherung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort, ebenso Gründungsberatung, Förderung der regionalen Wirtschaft und moderne mobile Arbeitsformen. „Für uns ist die MARKTBUDE natürlich auch ein Experiment“, sagt Sandra Hief, „und ein großer Schritt in Richtung aktive Innenstadtgestaltung. Wir wollen die Menschen dafür sensibilisieren.“ In der „Projektgruppe Innenstadt“ treffen sich Akteur*innen der Interessensgemeinschaft Süder- und Friedrichstraße, der Stadtverwaltung, des Bauausschusses und einige weitere, um Maßnahmen zur Innenstadtentwicklung zu besprechen. Dafür steht ein Fördermitteltopf zur Verfügung, der an die Projektgruppe gekoppelt ist. Auch spezielle Herausforderungen sind Thema, zum Beispiel die hohen Mieten in der Innenstadt oder die Kommunikation mit denen, die leerstehende Immobilien besitzen oder verwalten und zum Teil nicht ortsansässig sind. „Aufgrund des Datenschutzes sind wir an diese Gruppe bislang nur schwer herangekommen. Jetzt haben wir einen Brief mit der Bitte um Rückmeldung aufgesetzt, den die Kolleg*innen der Stadtverwaltung verschicken werden“, sagt Sandra Hief.

Michael Schittek,Geschäftsführer der Heide Stadtmarketing GmbH, setzt auf Netzwerke.

Netzwerke als Stärke der Kleinstadt

Für Michael Schittek, gebürtiger Brunsbütteler und Geschäftsführer der Heide Stadtmarketing GmbH, ist der Netzwerkgedanke für das erfolgreiche Leerstandsmanagement ganz zentral. „Um unsere Innenstadt in Heide zu beleben, machen wir uns hier eine ganz typische Dithmarscher Eigenschaft zunutze“, erklärt er. „Die Dithmarscher kommen gern zum Schnacken zusammen.“ Man kennt und schätzt sich. Um etwas zu erreichen, braucht es ein gutes Netzwerk. Und das beginnt manchmal mit einem Schnack in der Fußgängerzone.

So ist die Heider Innenstadt seit jeher ein Ort der Zusammenkunft gewesen. Heute finden auf und um den Heider Marktplatz über das Jahr verteilt zahlreiche Veranstaltungen statt, die Besucher*innen von nah und fern anlocken. Wie sieht für Michael Schittek also der perfekte Tag in der Heider Innenstadt aus? „Ich suche und finde genau das, was ich wollte – und kann es gleich mitnehmen“, sagt er, „das macht den Unterschied. Ich muss nicht tagelang auf ein Produkt warten, um dann festzustellen, dass es nicht passt oder nicht gefällt. Ich kann mich hier und jetzt daran freuen und das gibt mir ein gutes Gefühl.“ Schön ist es auch, sich anschließend eine Tasse Kaffee in einem der gemütlichen Cafés zu gönnen, durch die Geschäfte zu bummeln, sich inspirieren zu lassen – und auf dem Heimweg noch über die ein oder andere nette Begegnung nachsinnen. Dafür lohnt doch jeder Weg in die City!

Irina Kahn-Junge (rechts) hat mit „Looks“ den ersten Secondhandshop in Heide eröffnet: „Eine gute Entscheidung, denn das Interesse der Kundschaft an individueller, nachhaltiger und preiswerter Mode ist da.“ Das freut auch Innenstadtmanagerin Sandra Hief (links).