Unterwegs mit den Absolvent*innen
des „Führerscheins für Bus und Bahn“

Es gibt viele gute Gründe, auf Bus und Bahn umzusteigen – Sicherheit, ­Komfort und Klimaschutz zum Beispiel. Das Nahverkehrsangebot im Land ist vielfältig und es wächst stetig. Doch wie so oft steckt auch hier der ­Teufel im Detail: verschiedene Tarife und Verbindungen, die Bedienung des Fahrkartenautomaten, Umstiege, Gleiswechsel, digitale Angebote … und wo sind eigentlich die Aufzüge und Toiletten in den jeweiligen Bahnhöfen? All ­diese Fragen können insbesondere ältere Menschen von der Nutzung des Nahverkehrs abhalten. Der „Führerschein für Bus und Bahn“, ein Projekt des Senioren­beirats der Stadt Bad Bramstedt, möchte diese Hürden aktiv ­abbauen. Wir treffen einige Absolvent*innen sowie die Organisatoren und stellen fest: Man lernt nie aus!

Von links nach rechts: Joachim Behm, Hartmut Heidrich, Monika Dethlefs,
Ludwig Reese, Bernhard-Michael Domberg, Inge Schmidt-Müller und Dieter Runge

Am Bahnhof Bad Bramstedt werden wir herzlich willkommen geheißen von der gut gelaunten Gruppe der Absolvent*innen des „Führerscheins für Bus und Bahn“ und ­ihren Kursleitern. Die Stimmung ist freundschaftlich-familiär und erinnert ein bisschen an ein Klassen­treffen. ­Heute werden ­feierlich die Urkunden nach erfolgreich absolviertem Kurs ausgehändigt. ­Verteilt werden sie vom Projektleiter ­Bernhard-Michael Domberg – früher im Management der DB tätig –, vom ­Projektentwickler und hauptberuflichen Verkehrs­organisator ­Ludwig Reese sowie vom ­Vorsitzenden des Senioren­beirats der Stadt Bad Bramstedt, Hartmut ­Heidrich. Der Seniorenbeirat ist ­Initiator des Projekts und hat bereits im Jahr 2010 Automatenschulungen ­während der „Bus- und ­Bahn-Woche“ in Bad Bramstedt organisiert. 2019 ­beschlossen die beiden ­ehrenamtlich engagierten Mitglieder des Senioren­beirats, ­Bernhard-Michael ­Domberg und ­Hartmut Heidrich, diese Idee ­nochmal aufzugreifen und mit Unterstützung von Ludwig ­Reese professionell zu vertiefen. Um die Durchführung kümmern sich ­seitdem die Herren Domberg und ­Reese, finanziert wird der Kurs durch die Gesellschaft für ­Energie und Klimaschutz Schleswig-­Holstein (EKSH), das Verkehrsunter­nehmen AKN, die NAH.SH, die Stadtwerke Bad Bramstedt sowie die Beiträge der Teilnehmenden. 

Natürlich hat dieser „Führerschein“ keinen offiziellen Charakter, es ist nur ein symbolischer Begriff für diese Aktion. Und auch wenn man gar nicht durchfallen kann, da mit den Urkunden nur die Teilnahme bescheinigt wird, freuen sich die Anwesenden dennoch sichtlich darüber. Inge Schmidt-Müller ist eine von ihnen. In ihrem Berufsleben ist die Journalistin ganz selbst­verständlich um die halbe Welt gereist. Ebenso selbstverständlich ist es für sie heute, sich das Wissen der Bus- und Zugverkehrsexperten über Strecken, Preise und passende Verbindungen anzueignen. Sie möchte als Rentnerin unabhängig und mobil bleiben, Ausflüge machen, zum Beispiel nach Hamburg, wo sie viele Jahre gelebt hat.

„Der Automat, das unbekannte Wesen.

Blaue Kappe“, sagt Bernhard-Michael Domberg und setzt selbige auf. „Rote Kappe“, stimmt Ludwig Reese ein und tippt dabei lässig an den Schirm seiner Mütze, „so haben uns die Teilnehmer*innen während unserer Ausflüge immer im Blick.“ Für manche, die ihr Berufsleben lang nur Auto gefahren sind, ist der ÖPNV absolutes Neuland, erfahren wir. „Einige wundern sich sogar, dass der Zug mehr als eine Tür hat. Da leisten wir Aufklärungsarbeit von der Pike auf“, erklärt Domberg. Er führt uns zum Fahrkartenautomaten – „das unbekannte Wesen“, wie er augenzwinkernd sagt – und zeigt zusammen mit Ludwig Reese Schritt für Schritt, wie man seine Reisedaten, die richtige Strecke und den passenden Tarif wählt. Praktisch ist auch die Zurück-Taste, mit der eine falsche Eingabe korrigiert werden kann. Eine wichtige Frage treibt die Teilnehmer*innen um: Was tue ich, wenn der Fahrkartenautomat nicht funktioniert? Hier lautet der Rat: „Steigen Sie in den Zug ein und suchen Sie selbstständig den*die Zugbegleiter*in auf, um einen Fahrschein zu lösen. Sofern kein Bahnpersonal und kein Fahrkartenautomat innerhalb des Zuges zur ­Verfügung stehen, sollte man sich ­proaktiv und zügig an den*die Triebfahrzeug­führer*in wenden und direkt bei ihm oder ihr eine Fahrkarte lösen. Hilfreich kann es auch sein, sich die Nummer des kaputten Automaten zu notieren und diese dann dem Personal im Cockpit mitzuteilen.“

„Sicherheit gewinnen, auch für weitere Reisen.“

Neu-„Führerschein“-Besitzer Joachim Behm kennt die Situation eines defekten Automaten und hat in der Vergangenheit schon öfter einmal einen Triebfahrzeugführer ­persönlich beim Einstieg darauf angesprochen. Das Seminar bereitet auf solche Situationen noch besser vor und ­vermittelt Sicherheit. So ­gerüstet, ist auch eine Reise in die Hauptstadt Berlin kein Problem: ­Joachim Behm besucht dort regelmäßig ­seinen Sohn und ist froh, kein Auto durch den hektischen ­Verkehr der Großstadt bis in eine passende (und häufig gar nicht zu findende) Parklücke ­dirigieren zu müssen. Stattdessen erkundet er die Stadt mit dem dortigen ÖPNV gerne immer wieder aufs Neue oder besucht den Bundestag, um als ehemaliger Abgeordneter des schleswig-holsteinischen Landtags alte Weggefährt*innen aus der Politik wiederzutreffen.

„Es wird viel gelacht während der Fahrten.“

Monika Dethlefs letzte Bahnfahrt war zehn Jahre her, als sie kurzerhand beschloss, sich zusammen mit einer Freundin zum „Führerschein“ anzumelden. „Wir haben dann eine wirklich unterhaltsame Tour nach Kiel mitgemacht. Vor Ort hatten wir noch genügend Zeit zum Shoppen, Eis essen und für einen Spaziergang an der Förde.“ Beide waren sofort sehr ­angetan von ihrem Ausflug und ­hatten danach eigentlich geplant, häufiger mit Bus und Bahn in schleswig-­holsteinische Städte zu fahren. Die Corona-Maßnahmen machten einen Strich durch die Rechnung, doch nur vorübergehend: „Nächstes Jahr geht das aber richtig los!“, lacht ­Monika und schiebt – wohl wissend, dass das Streckennetz der AKN regional begrenzt ist – hinterher, „Mit Herrn Reese und der AKN würden wir sogar bis nach Portugal fahren!“ Es ist ganz offensichtlich nicht nur das erlernte Wissen, sondern auch der Spaß, der die Absolvent*innen motiviert. Das kann Bernhard-Michael Domberg ­bestätigen: „Wir haben ­mittlerweile einige ­‚Wiederholungstäter‘. Kein Wunder: Man hat eine Menge Zeit, sich auszutauschen, und es wird wirklich viel gelacht während unserer Fahrten. Zudem bekommt man in der Bahn einen ganz anderen Blick nach draußen geboten, als es auf der Straße oder der Autobahn möglich ist – da grüßt auch mal im Vorbeifahren der Fuchs von einer Wiese.“

„Eine Motivation: den eigenen CO₂-Fußabdruck zu verringern.“

Über das Gemeinschaftserlebnis dieser Ausflüge hinaus bewegt Teilnehmer Dieter Runge das Thema Mobilität ganz grundsätzlich: „Viele Leute ­sitzen alleine im Auto, das kann weder ­ökologisch noch ökonomisch gut sein, selbst wenn ich es verstehen kann. Als Bäckermeister habe ich früher Fort­bildungen an täglich wechselnden ­Orten gegeben und bin da ebenfalls immer mit dem Auto unterwegs ­gewesen. Heute ­nutze ich das Rad und den Zug – auch, um meinen CO₂-Fußabdruck zu verringern.“ Dass man ­seine persönliche Ökobilanz verbessert, kommt bei der Nutzung des ÖPNV ganz von allein. Wie man dadurch bares Geld sparen kann, vermittelt das Projekt: „Gerade die für das Führerschein-Seminar genutzten Kleingruppenkarten bieten große Einsparmöglichkeiten“, merkt Ludwig Reese an. Grundsätzlich sind es ältere Semester, die daran teilnehmen. Für sie gehört zum Thema Mobilität unter anderem die Frage nach ­Toiletten und Fahrstühlen, beide sind an ­einigen Bahnhöfen nicht so leicht zu finden. Auch auf diese Besonderheiten weisen die Kursleiter Reese und Domberg während ihrer Touren hin.
Gemeinsam mit dem ­Vorsitzenden des Seniorenbeirats Hartmut ­Heidrich ­hoffen die beiden Organisatoren nun, dass ihr Bad ­Bramstedter Projekt als Blaupause für andere Regionen des Landes dient. Ihre ­Erkenntnisse dazu teilen sie gerne mit möglichen Nachahmer*innen. Über mangelnde Anmeldungen kann sich die „Ausstellungs­behörde“ des Bad ­Bramstedter „Führerschein“-­Projekts jedenfalls nicht beklagen, ganz im ­Gegenteil: Es gibt bereits ­viele ­Anfragen für das kommende Jahr. Dennoch steht die Finanzierung für das Jahr 2022 an diesem Tag im Herbst 2021 noch nicht fest.
Die Absolvent*innen drücken ­sämtliche Daumen, dass dies noch gelingt. Ihr Fazit lautet unisono: „Seit wir den ‚Führerschein‘ gemacht haben, ist es einfach viel angenehmer, Bus und Bahn zu fahren. Den Kurs können wir uneingeschränkt empfehlen.“ Wir wünschen allzeit gute Fahrt!

Wer, wie, wo, was?
Zumeist nutzen Senior*innen das Angebot, es richtet sich jedoch generell an alle ab 18 Jahren. Während der Corona-Maßnahmen betreuen zwei Begleiter zwölf Teilnehmer*innen, bei Aufhebung der Beschränkungen können bis zu zwanzig Personen mitfahren. Der „Führerschein“ wird auf verschiedenen Strecken von Bad Bramstedt aus angeboten, zum Beispiel geht es nach Husum – mit genügend Zeit vor Ort für die Verköstigung mindestens eines Fischbrötchens. Die Teilnahme kostete bislang 9 Euro (inkl. Fahrschein), Beitragsänderungen in 2022 sind möglich. 

Kontakt:
Ludwig Reese
T.: 04192.8266
E-Mail: ergo-reese@t-online.de