Klimawandel und Küstenschutz an der Nordsee

Vor etwas mehr als zwei Jahren nahm die Diskussion über den Klimawandel und seine Folgen richtig Fahrt auf. Die Bewegung Fridays for Future war in aller Munde. Vorreiter in Deutschland war Schleswig-Holstein, wo in Bad Segeberg und Kiel im Dezember 2018 erstmals Schüler*innen im Namen des Klimaschutzes dem Unterricht fernblieben. Zwar hat derzeit Corona dem Thema den Rang in der Berichterstattung abgelaufen, aber die Dringlichkeit bleibt. Schleswig-Holstein verfügt über eines der empfindlichsten Ökosysteme der Welt, das Wattenmeer an der Nordseeküste. Wie steht es dort mit den Auswirkungen des Klimawandels? Und wie lassen sich Klima, Küste und Einwohner schützen? Wir haben im Spätwinter einige Fachleute im Land besucht, die uns Antworten geben konnten.

Um uns ein wissenschaftlich fundiertes Bild der Lage zu machen, sprechen wir zuerst mit Dr. Insa Meinke. Sie leitet das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro am Helmholtz- Zentrum Geesthacht. Hier werden kontinuierlich Messdaten von den norddeutschen Messstationen gesammelt und ausgewertet. Vermutlich kennt kaum jemand das norddeutsche Klima so gut wie die promovierte Meteorologin. Wir fallen gleich mit der Tür ins Haus: Wo steht Schleswig-Holstein im globalen Vergleich? „Wir liegen, was zum Beispiel die Erwärmung angeht, etwas über dem globalen Mittel. Seit den 1960er Jahren hat die Temperatur hier um etwa ein Grad zugenommen. Weltweit sind es bisher etwa 0,8 Grad Erwärmung im gesamten letzten Jahrhundert.“  Dennoch wird das Wetter in Schleswig-Holstein nicht in jeder Hinsicht immer extremer: „Bisher wird es bei uns im Norden zwar wärmer und heiße Tage sind häufiger geworden, Frosttage dagegen nicht.“ Und während der Winterniederschlag zugenommen hat, wechseln sich im Sommer trockene und regenreiche Jahre noch immer ab.

 

„Das Problem ist nicht der Sturm,
sondern die Erd­erwärmung. Denn die lässt den Meeresspiegel ansteigen“

Dr. Insa Meinke

Die Daten, die Klimaforscher*innen wie Insa Meinke sammeln und auswerten, sind auch dem Land Schleswig-Holstein bekannt. Und sie zwingen zum Handeln. Sollen die Deiche auch weiterhin sicheren Schutz vor Überflutung bieten, müssen sie in manchen Abschnitten erhöht werden. So wie zurzeit vor dem Hauke-Haien-Koog bei Schlüttsiel in Nordfriesland. Hier sind wir an einem kalten Februartag mit Ronald Münch verabredet. Der Ingenieur ist Projektleiter für den Deichausbau beim Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein, kurz: LKN.SH. Er wird von Mario Lüönd begleitet, der als Bautechniker an dem Projekt beteiligt ist. Im Winter ruhen allerdings die Arbeiten und die Baustelle ist so präpariert, dass der Deich den Sturmfluten der Wintersaison standhält, ohne Schaden zu nehmen. Vor Ort führen uns die zwei Fachleute über den künftigen „Klimadeich“

So wird diese Deicherweiterung genannt, weil sie auf die gerade eintretenden und noch zu erwartenden Folgen des Klimawandels reagiert. Die Deichkrone wird verbreitert und je nach Erfordernis etwas erhöht. Außerdem wird die Außenböschung abgeflacht, so dass sich die Energie des Wassers besser abbauen kann. Auch sehr schwere Sturmfluten, die das mittlere Hochwasser um über 3,5 Meter übersteigen, führen dann nicht zur Katastrophe und der Deich bleibt unbeschädigt. Sollten sich außerdem die ungünstigeren Klimaprognosen bewahrheiten und der Meeresspiegel stärker steigen, lässt sich mit geringerem Aufwand eine zusätzliche Kappe auf die Deichkrone setzen, um den Deich nochmals zu erhöhen. „Mit Geogittern lässt sich heute die Last viel besser verteilen, so dass auch auf weichem Boden stabil gebaut werden kannWas wie eine zwar aufwändige, aber eindeutige Aufgabe klingt, führt im Detail zu vielen Herausforderungen. „Neue Techniken ermöglichen aber auch bessere Lösungen“, erklärt uns Ronald Münch, „früher war zum Beispiel der Boden an einigen Stellen zu weich, was den Deichbau behindert hat.“ Und sein Mitarbeiter Mario Lüönd ergänzt: „Mit Geogittern lässt sich heute die Last viel besser verteilen, so dass auch auf weichem Boden stabil gebaut werden kann.“ Zudem arbeiten sie am Deich so nachhaltig wie möglich. „Wo immer es möglich ist, werden die Materialien des alten Deichs recycelt und für die Verstärkung verwendet. Übrigens werden am Ende sogar zwei Hektar Watt neu entstehen.“

„Wo immer es möglich ist, werden die Materialien des alten Deichs recycelt.“

Mario Lüönd

Beim Deichbau wird ungeheuer viel Material bewegt. Der Klei, das tonhaltige Obermaterial, stammt aus Entnahmestellen bei Dagebüll, die danach zu naturnahen Gewässern werden. Aber der Deichbau erfordert auch große Mengen von Sand, der zurzeit knapp und teuer ist. Manchmal hilft der Zufall: Ronald Münch erzählt uns, dass beim Bau einer Teichanlage in Wallsbüll bei Flensburg große Mengen Sand angefallen sind. „Die waren froh, dass wir ihnen den Sand abgenommen haben, denn sonst hätten sie ihn – ebenfalls teuer – entsorgen müssen.“ Und dann erfahren wir noch von einer rührenden Kuriosität. Treffen die Bauarbeiten auf brütende Austernfischer, muss drumherum gebaut werden. Keinesfalls darf die Nestruhe gestört werden. „Deshalb markieren wir die Stellen, wo wir als Nächstes Boden entnehmen“, sagt Mario Lüönd und zeigt auf ein paar Stäbe mit weiß-rotem Flatterband. „Das ist ein informeller Zusammenschluss mit dem Ziel, Klimaschutzmaßnahmen voranzubringen.“

„Durch die Bewegung suchen die Vögel sich gleich einen anderen Brutplatz.“ Genug Platz haben sie dafür – sie können einfach auf andere Deichabschnitte ausweichen. Wir verlassen den Deich und fahren 35 Kilometer Richtung Süden in die nordfriesische Kreisstadt Husum, um Felix Oßwald zu besuchen. Er koordiniert für den Kreis Nordfriesland die Aktivitäten rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Damit ist er auch für das Klimabündnis Nordfriesland zuständig. Klimabündnis? Da werden wir natürlich hellhörig. „Das ist ein informeller Zusammenschluss mit dem Ziel, Klimaschutzmaßnahmen voranzubringen.“ Wer denn da so Mitglied ist, wollen wir wissen. „Zurzeit haben wir 131 Mitglieder. Wer sein Engagement glaubhaft machen kann, ist eingeladen. Das können Unternehmen, Verbände, Einzelpersonen sein. Oder Gemeinden. Von denen sind über 80 aus dem Kreis dabei, also mehr als die Hälfte.“ Felix Oßwald betont immer wieder, dass Klimaschutz eine Teamaufgabe ist. Er versucht, Kompetenz zu bündeln und Projekte anzustoßen. Das gehe in so einem gemeinsamen Forum einfach besser. Seine Aufgabe sei es dabei auch, „immer ein Ohr am Wind zu haben“, der ja bekanntlich in Nordfriesland besonders reichlich weht. Wir sind neugierig auf Beispiele. „Ein Mitglied ist die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein mit Sitz in Kiel. Die bietet Beratung zur energetischen Sanierung von Eigenheimen an. Die Kosten sind zum Teil vom Bund bezuschusst, aber es bleibt ein Eigenanteil von etwa 30 Euro. Für 100 Beratungen hat dann der Kreis diese Restkosten übernommen. Innerhalb eines halben Jahres war das Kontingent erschöpft und es wurden noch einmal 150 Beratungen nachgelegt. Das ist eine Erfolgsgeschichte, denn die Beratungen führen oft auch dazu, dass tatsächlich Maßnahmen durchgeführt werden.“

„Das Klimabündnis Nordfriesland hat immer das ‚Ohr am Wind‘.“

Felix Oßwald

Was wir allmählich begreifen: Hier zählen vor allem die kleinen Lösungen, die aber nachhaltige Veränderungen bringen. Felix Oßwald: „Wenn eine Gemeinde eine neue Beleuchtungsanlage installieren und auf energiesparende LED-Technik umstellen will, dann sind die Kosten für eine Bundesförderung zu gering.

Diese ‚Bagatellbeträge‘ von wenigen Tausend Euro können die oft sehr kleinen Gemeinden aber trotzdem nicht stemmen. Und dann kann der Kreis einspringen.“ Auch der öffentliche Nahverkehr ist für dünn besiedelte Regionen wie Nordfriesland eine Herausforderung. Ein halbwegs wirtschaftliches Angebot mit hoher Taktung ist unmöglich. Deshalb gibt es nun den Rufbus, für den man sich anmelden muss und der mit kleineren Fahrzeugen unterwegs ist, so dass eine gewisse Auslastung gesichert ist. Um herauszufinden, wo die Menschen zusätzliche Halte brauchen, hat die Verwaltung Umfragen gemacht. Zurzeit gibt es etwa 1.100 Rufbus-Haltestellen im Landkreis.

Es gibt noch viel zu tun, um die Treibhausgas- Emissionen in Nordfriesland zu senken, Stichwort Wärmewende. Die Energiewende bereitet da weniger Kopfzerbrechen. „Wir produzieren mit Windkraft sechsmal mehr grünen Strom als wir brauchen“, rechnet uns Felix Oßwald vor, „aber beim klimafreundlichen Heizen haben wir noch einiges zu tun.“ Doch wie überall ist es die größte Herausforderung, das Thema in den Köpfen zu verankern und alle zum Mitmachen zu bewegen. Das findet auch Insa Meinke. Das Problem sei, dass
man das Risiko noch nicht sieht. Und dass man auch für die Generation nach uns schon Verantwortung übernehmen müsse. Meinke zieht einen Vergleich zur Situation in der Pandemie, in der die allermeisten Menschen einsichtig sind und deshalb eine Maske tragen: „Man sieht, dass Menschen krank werden und
dass man sich und andere mit einer Maske schützen kann. Beim Klima
ist das nicht so.“