Das Urlaubsland Schleswig-Holstein
erfindet sich neu

Von der Küste bis ins Binnenland, vom Tiny House am See bis zum klimaneutralen Hotel am Meer – in Schleswig-Holstein wird nachhaltiger Tourismus gelebt. los! hat Menschen getroffen, die mit ganzem Herzen dabei sind.

Ehepaar Görke genießt den Urlaub im Norden.

Im Naturparadies Geltinger Birk begegnen wir dem Ehepaar Görke aus Südwestfalen. Vor 14 Jahren sind die beiden das erste Mal hier gewesen und haben nie vergessen, wie schön es hier ist. „Die Natur, die Ruhe, der Blick aufs Meer – man kommt richtig runter. Und das Prinzip Nachhaltigkeit ist überall sichtbar“, sagen sie. Ob sie auch ein drittes Mal wiederkommen? „Klar!“ Aber was macht einen Urlaub eigentlich nachhaltig? Sind es E-Bikes statt Mietwagen, regionale Zutaten auf dem Frühstückstisch oder das gute Gefühl, dass auch das Hotel an ein Morgen denkt? In Schleswig-Holstein begegnet einem das Thema nachhaltiger Tourismus inzwischen auf Schritt und Tritt. Das Land hat sich vorgenommen, Tourismus neu zu denken. Dafür braucht es kreative Köpfe und mutige Projekte.

„Ich habe meinen Dienstwagen gegen eine Bahncard 100 eingetauscht“, erzählt Dr. Bettina Bunge. Die Geschäftsführerin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein (TA.SH) kennt das Thema nachhaltiger Tourismus nicht nur aus der Strategieabteilung, sie lebt es auch persönlich. Die TA.SH ist die zentrale Koordinierungsstelle für das touristische Landesmarketing und verfolgt ein klares Ziel: ein starkes, glaubwürdiges und zukunftsfähiges Tourismusland zu gestalten. „Dafür braucht es nicht nur schöne Orte, sondern auch ein Angebot, das umweltverträglich, sozial fair und wirtschaftlich tragfähig ist. Das funktioniert, wenn alle mitziehen.“ Im nördlichsten Bundesland sprießen viele nachhaltige Ideen. Bettina Bunge nennt Projekte wie den GreenTEC Campus, ein Zukunftslabor, das von Nordfriesland aus für den ganzen Globus Konzepte für nachhaltige Mobilität, Digitalisierung und grüne Energien entwickelt. Oder sie denkt ans Hotel Seeloge in Eutin, einen barrierefreien Inklusionsbetrieb im Binnenland. „Ein schönes Vorbild dafür, dass Nachhaltigkeit auch eine soziale Komponente hat!“ Besonders sympathisch findet Bettina Bunge jene Orte, „wo man merkt: Hier ist nicht nur eine gute Idee, hier herrscht auch ein achtsamer Umgang miteinander.“

Sensibler Umgang mit der Natur und der Geschichte
des Standorts an der Schlei: Hotel Südspeicher in Kappeln.

Aber wie erkennt man, ob ein Betrieb wirklich nachhaltig ist – oder nur „grün angestrichen“? Bettina Bunge rät: „Augen auf vor Ort. Wenn sich ein Gasthaus Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt, aber ausschließlich abgepackte Mini-Marmeladen zum Frühstück serviert, geht die Rechnung nicht auf. Und konsequent nachhaltig zu wirtschaften, erfordert Investitionen. Das kann eine Übernachtung zum Dumpingpreis kaum gewährleisten.“ Nachhaltigkeit brauche tatsächlich Glaubwürdigkeit und gegebenenfalls die Bereitschaft, sich freiwillig zertifizieren zu lassen. Die TA.SH geht mit gutem Beispiel voran. Seit Anfang 2024 trägt sie als erste Landestourismusorganisation in Deutschland die TourCert-Auszeichnung für zertifizierte Unternehmen. Auch ganze Regionen gehen diesen Weg. Nach der Schleiregion, Lübeck-Travemünde und Dithmarschen strebt nun St. Peter-Ording/Eiderstedt eine Zertifizierung als nachhaltiges Reiseziel an. „Dabei geht es nicht darum, alles von vornherein perfekt zu machen, sondern um einen dauerhaften Verbesserungsprozess, von dem eine gesamte Region profitiert“, sagt Bettina Bunge. „Diejenigen, die vorangehen, motivieren andere, mitzumachen, und zwar an den Hotspots an Nord- und Ostsee ebenso wie dazwischen.“ Statt nur ans Meer zieht es Menschen auch in die Seenlandschaften, Wälder und Dörfer der Binnenregionen. Wer bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen, wird dabei oft überrascht. So wie Bettina Bunge selbst: „Ich habe in einem Green Tiny House im Herzogtum Lauenburg ein Wochenende verbracht und die Natur vor Ort sehr genossen. Stichwort Waldbaden, Radwandern & Co.: Jedes schleswig-holsteinische Fleckchen hat seine Vorzüge!“

„Wir wollen zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht Verzicht bedeutet.“
Bo Teichmann, Hotel Südspeicher

Direkt an der Schlei, mit Blick auf die historische Klappbrücke, liegt der Südspeicher in Kappeln, ein imposanter Backsteinbau mit Geschichte. Früher diente er als Getreidespeicher, heute beherbergt er ein Hotel, Bistro, Veranstaltungsflächen – und vor allem eine Idee. „Wir verbinden Altes mit Neuem“, sagt Geschäftsführer Bo Teichmann. Statt auf Neubau zu setzen, entschied sich das Team bewusst dafür, Bestehendes zu bewahren und es durch sensible An- und Umbaumaßnahmen in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Der Umbau erfolgte ressourcenschonend und in Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben aus der Region.

„Wir leben das, was wir vermitteln möchten.“
Uta Janbeck, Janbeck*s FAIRhaus

Erstes klimaneutrales Hotel in Schleswig-Holstein:
Janbeck*s FAIRhaus in Gelting

Faire Arbeitsbedingungen und ein familiäres Arbeitsumfeld gehören für Bo Teichmann genauso zum Verständnis von Verantwortung wie der sparsame Einsatz von Ressourcen. „Wir wollen zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht Verzicht bedeutet, sondern Wertschätzung für Mensch, Natur und die Region.“ Der Nachhaltigkeitsgedanke entwickelt sich aus einer persönlichen Grundüberzeugung heraus kontinuierlich weiter. „Windräder, Solaranlagen – hier in der Region ist Nachhaltigkeit buchstäblich naheliegend. Es ist alles vorhanden!“, sagt er. „In unserem Betrieb gibt es viele kleine Stellschrauben, die wir immer in die nachhaltigere Richtung drehen.“ Wer beispielsweise mit einer Fahrkarte nachweist, dass er oder sie mit dem ÖPNV angereist ist, erhält eine Ermäßigung für den Hotelaufenthalt. Der Geschäftsführer gehörte selbst zu den Ersten, die sich die NAHSHUTTLE-App heruntergeladen haben. Das On-demand-Angebot im Rahmen des Modellprojekts SMILE24 schließt ÖPNV-Lücken in der Schleiregion und ist 2024 sowohl mit dem Deutschen Mobilitätspreis als auch dem Deutschen Tourismuspreis ausgezeichnet worden. Das Team des Südspeichers hat sich zudem für eine Mitgliedschaft in der Ostseefjord Schlei GmbH entschieden, einem Verbund für verantwortungsbewusste Urlaubsangebote in der Heimatregion. Innerhalb der nächsten zwölf Monate wird zusammen mit dem Verbund der aktuelle CO₂-Fußabdruck und gleichzeitig weiteres Potenzial ermittelt.

Im Herzen der Schleiregion finden wir ein weiteres Schmuckstück, das nicht nur als Urlaubsdomizil gedacht ist, sondern als echtes Zukunftsmodell: Janbeck*s FAIRhaus, das erste klimaneutrale Hotel Schleswig-Holsteins. „Wir möchten zeigen, dass man nachhaltig und fair leben und wirtschaften kann“, sagen die Gastgeber Uta und Stephan Janbeck. Als sie 2002 ihren alten Dreiseithof kauften, war von Anfang an klar: Hier soll etwas Neues entstehen, ohne das Alte zu verdrängen. Nachhaltigkeit ist für die Janbecks mehr als Fotovoltaik, Blockheizkraftwerk und Rotteanlage zur Brauchwassergewinnung. Es geht darum, Kreisläufe zu schaffen, Ressourcen zu schonen, bewusst zu genießen. „Das fängt beim Frühstück an“, betont Uta Janbeck, als wir an einem reich gedeckten Tisch für unser Gespräch Platz nehmen. Die Marmelade ist aus selbst gesammelten Brombeeren, die Hafermilch aus eigener Herstellung, alles ist handgemacht. Hier kann man Nachhaltigkeit schmecken – und erleben: vom Biobett über den sparsamen Wasserverbrauch (nur 68 Liter pro Übernachtung, im Vergleich zu 200 bis 300 Litern in vergleichbaren Betrieben) bis zur dezenten Erinnerung in der Dusche, das Wasser nicht zu lange laufen zu lassen. Die eigene Kläranlage versorgt Garten und Toilettenspülung, ein Elektroauto steht für Gäste bereit, Strom liefert die Sonne. Die Liste ist lang …

Das FAIRhaus umfasst sieben Urlaubsquartiere, ein Café, eine Hofgemeinschaft mit Hühnern, Katzen und viel Platz zum Seele-baumeln-Lassen. „Viele kommen immer wieder, weil sie sich hier verstanden fühlen und unsere Werte teilen“, sagt Uta Janbeck. Für die Nebensaison bietet das FAIRhaus Langzeitaufenthalte – als Rückzugsort, um Kraft zu tanken. Denn jede Saison hat hier ihren eigenen Zauber, vom Frühlingsduft im Kräutergarten bis zum Herbststurm auf dem Deich. Ausgezeichnet wurde Janbeck*s FAIRhaus unter anderem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024, dem Nachhaltigkeitspreis Schleswig-Holstein, dem Green-Brands-Siegel, als Klima-Hotel und mit dem Viabono-Zertifikat. Letzteres bescheinigt dem Betrieb eine besonders niedrige Umweltbelastung. „Wir leben das, was wir vermitteln möchten“, sagen die Janbecks. Und das merkt man in jedem Gespräch und es steckt sogar in der selbst gebackenen Zimtschnecke, die wir für den Heimweg mitbekommen.

„Wir wollen gemeinsam mit Tourismusakteur*innen ermitteln, was gebraucht wird – und was funktioniert.“
Prof. Dr. Michael Prange von der Fachhochschule Kiel

Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit gute Ideen langfristig wirken können? Wie lassen sich Nachhaltigkeitsansätze messen, vergleichen, verbessern? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Forschungsprojekt AIR an der Fachhochschule Kiel, das Praxis und Wissenschaft eng miteinander verzahnt. Im Zentrum steht ein digitales Empfehlungs-Tool auf Basis künstlicher Intelligenz (KI): der sogenannte Recommender. Dieser soll Reiseinteressierten künftig konkrete Vorschläge machen, wie sie nachhaltig und erlebnisreich unterwegs sein können. Die KI ermittelt weniger überlaufene Orte, passende Alternativen zu touristischen Hauptanziehungspunkten und schlägt Lösungen vor, wie man stressfreier anreisen kann. Dazu werden Besucherdaten, Kapazitäten und saisonale Auslastungen analysiert sowie Faktoren wie Wetter und Ferienzeiten mit einberechnet. Die Empfehlungen können in ortsgebundenen Apps, öffentlichen Datenplattformen oder auf digitalen Tafeln ausgespielt werden. So entsteht eine digitale Navigation für klimaschonenderes Reisen, von der Gäste, Einheimische und Umwelt gleichermaßen profitieren, indem zum Beispiel der Park-such-Verkehr reduziert wird. „AIR soll dabei helfen, Besucherströme zu entzerren, die Aufenthaltsqualität zu steigern und dabei die Vielfalt Schleswig-Holsteins erlebbar zu machen“, erklärt Professor Dr. Michael Prange, der an der FH Kiel im Bereich Data Science lehrt und das Projekt koordiniert. Langfristig gesehen soll die AIR-Software für alle frei verfügbar sein.

Nachhaltiger Tourismus in Schleswig-Holstein ist schon lange kein abstraktes Konzept mehr, er ist gelebte Realität. Mal leise und liebevoll wie bei Janbeck*s FAIRhaus, mal experimentierfreudig und urban SHwie im Südspeicher, mal strategisch durchdacht und datenbasiert wie im FH-Forschungsprojekt – immer verbunden mit dem Wunsch, verantwortungsvoll mit Ressourcen, Mensch und Ort umzugehen.

„Nachhaltigkeit ist ein Prozess, bei dem wir nie ganz fertig sein werden, aber viel bewegen können.“
Dr. Bettina Bunge, TA.SH
Geschäftsführerin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein

Dr. Bettina Bunge bringt es auf den Punkt: „Nachhaltigkeit ist ein Prozess, bei dem wir nie ganz fertig sein werden, aber viel bewegen können.“ Wer heute in Schleswig-Holstein Urlaub macht, trifft immer häufiger auf Gastgeber mit Haltung, auf Angebote für bewussteres Reisen und die Einladung, selbst Teil der Veränderung zu sein. Denn nachhaltiger Tourismus ist keine Einschränkung, sondern eine Bereicherung für Reisende, Regionen und die Zukunft des Urlaubslandes Schleswig-Holstein.