Auf den Spuren des eigenen CO2-Fußabdrucks

Wäre jemand vor zehn Jahren auf einer Malediveninsel in einen Dornröschenschlaf gefallen, hätte er schlechte Chancen, in neunzig Jahren auch wieder dort aufzuwachen. Denn das Meer wird die Insel vermutlich verschluckt haben. Der Klimawandel bringt Erderwärmung, Anstieg der Meeresspiegel, Abschmelzen des „ewigen“ Eises und Naturkatastrophen mit sich. Und so fern die Malediven erscheinen mögen, so spürbar sind die Folgen inzwischen auch bei uns. Zum Glück hat sich die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft darauf geeinigt, dass es höchste Zeit ist, etwas gegen den Treibhauseffekt zu tun – und zwar jetzt. Doch wie sieht eigentlich meine persönliche Klimabilanz aus?

Eine Reportage von Sven Sonne

Think global, act local!

„Internationale Gemeinschaft“? Da gehöre ich doch dazu, auch wenn ich in Schleswig-Holstein lebe, wo die Prognosen nicht so düster sind wie in anderen Regionen der Erde. Mein Patenkind ist Tochter einer Spanierin. Und in Spanien – habe ich gerade gelesen – wird die Häufigkeit der sommerlichen Hitzewellen zunehmen. Waldbrände, Dürreperioden, Ernteausfälle inklusive. Also: Think global, act local! Rauf auf den Prüfstand mit dem eigenen Verhalten. Ist das, was ich an Gewohnheiten entwickelt habe, „gut“ für die Umwelt oder „schlecht“? Und woran gemessen?

Das Erste, was mir einfällt, ist der CO2-Fußabdruck. Es ist, als sei man in CO2 getreten und würde mit jedem Schritt etwas davon hinterlassen. Weil es ein geruchloses Gas ist, stört sich fast keiner unmittelbar daran. Aber langfristig ist es ziemlich schädlich, weil es den Treibhauseffekt verstärkt. Kurz gesagt: je weniger CO2, desto besser fürs Klima.

Der CO2-Fußabdruck …

meint die Menge Kohlenstoffdioxid, die ein Mensch (oder eine Institution) in einer bestimmten Zeit verursacht. Man kann auch von der CO2-Bilanz sprechen. Bei Produkten muss der gesamte Lebenszyklus betrachtet werden, und zwar von der Herstellung bis zur Entsorgung. Um mit dem CO2-Fußabdruck auch einigermaßen präzise den Schaden bemessen zu können, verwendet unter anderem der WWF (World Wide Fund for Nature) den Begriff „CO2-Äquivalent“. So können zum Beispiel auch andere Treibhausgase mit in die Bilanz aufgenommen werden.

Im Zug kannste schön lesen

Ich fange meine Selbstbeleuchtung mit meinem Verkehrsverhalten an. Dass das eigene Auto Dreck macht, ist klar. Bei der Verbrennung entstehen eben auch Abgase. Ganz oben: CO2. Hier mache ich sofort ein paar Punkte gut, denn ich habe zwar ein Auto, aber das verbraucht wenig Benzin. Aber am wichtigsten ist: Ich fahre damit wenig. Zuhause in Kiel benutze ich das Auto nur für Transportfahrten, mal ein Möbelstück oder ein Großeinkauf, alles andere erledige ich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Bus. Längere Strecken sind der Bahn vorbehalten und das bedeutet vor Ort dann auch immer automatisch: öffentliche Verkehrsmittel.
Manchmal steht das Auto wochenlang nur herum. „Im Zug kannste schön lesen“, hat mir mal jemand gesagt, und das stimmt. Mittlerweile würde ich tippen, dass mich mindestens 5 % meiner tagesaktuellen Information in öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht.

Auto (6 Liter Benzin / 100 km) und Bahn im Vergleich:

Kiel–Berlin/Berlin–Kiel (ca. 710 km)

Auto 100 kg CO2
Bahn 28 kg CO2

Klimakiller Nr. 1 im Schlaraffenland ist Rindfleisch

Deutschland hat 2015 insgesamt 902 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Etwa 18 % (162 Millionen Tonnen) davon gehen auf das Konto des Verkehrs. Würde jeder Einwohner der Bundesrepublik im Jahr einmal eine solche Fahrt mit der Bahn statt mit dem Auto machen, läge die Einsparung schon bei über 3 % des Gesamtausstoßes für Verkehr.

Ein Klimathema, das ich auch nicht mit der Lupe suchen muss, ist die Ernährung. Ein Schlachtfeld, oder besser: eine Schlachtplatte. Was hier oft durcheinandergeht, sind die Fragen: Ist es gesund? Ist es bio? Ist es CO2-neutral? Mich interessiert jetzt ja vor allem Letzteres. Ich schaue mir also an, was ich so täglich esse: Brot, meistens Vollkorn, viel Käse, überhaupt Milchprodukte. Frisches Obst, hauptsächlich Äpfel und Bananen, aber auch, was die Jahreszeit hergibt, also Pflaumen oder Erdbeeren. Bei Gemüse ein ähnlicher Mix aus ganzjährigem und saisonalem Gemüse. Kartoffeln, Nudeln, Reis. Sehr gerne Fisch, aber – jetzt kommt’s – kein Fleisch. Ich bin seit sieben Jahren Pescetarier, also Vegetarier „mit Fisch“. Klimakiller Nr. 1 im Schlaraffenland ist Rindfleisch.

Der Apfel soll aus der Nähe kommen. Immer?

Wegen des hohen Futtermittelbedarfs und Methanausstoßes fallen 20 Kilo CO2 und andere Treibhausgase bei der Herstellung von einem Kilo Rind an. Mit meinen vier Kilo CO2 für Fisch stehe ich im Vergleich ganz gut da. Aber auch, wer Geflügel – vier Kilo CO2 – isst, spart gegenüber Rind enorm. Ich stelle fest: Auf Rindfleisch zu verzichten, bringt am meisten. Mein geliebter Käse unterscheidet sich jedoch klimamäßig kaum von Schweinefleisch, und das auf recht hohem Niveau – acht Kilo. Obst und Gemüse schneiden insgesamt gut ab – ein bis zwei Kilo –, klarer Gewinner ist dabei die Kartoffel mit nur 600 Gramm CO2. Schlussfolgerung: Mein Gewissen schwebt nicht am Himmel, zieht mich aber auch nicht auf den Meeresgrund.

Allerdings sind diese Zahlen sehr abstrakt. Und ein Durchschnitt. Im Alltag stehe ich oft vor dem Obststand und gucke, wo die Äpfel herkommen. Aus Neuseeland. Bäh, weit weg, die haben bestimmt nicht den Zug genommen. Der Transport frisst viel Energie. Also Finger weg! Der Apfel soll aus der Nähe kommen. Immer? Wie so oft kommt auch hier das viel geschmähte Milchmädchen ins Spiel. Ein deutscher Apfel im März? Der kann, recherchiere ich, durch seine energieaufwändige Lagerung sogar die schlechtere Bilanz haben. Regional ist nämlich nicht automatisch gut, sondern es muss mindestens auch saisonal sein. Muss man wissen, wenn man an den richtigen Stellschrauben drehen will.

CO2 auf dem Teller An direktem und indirektem Ausstoß macht die Ernährung in Deutschland 164 Millionen Tonnen Treibhausgase aus, also etwas weniger als ein Fünftel der Gesamtemission. 67 Millionen Tonnen gehen auf das Konto von Fleisch, nur ein Zehntel davon entfällt auf Gemüse. Verzichtet ein durchschnittlicher Fleischesser auf 44 % seines Schweinefleischs, spart er 337 Kilogramm CO2-Äquivalent ein. Anfallende CO2-Äquivalente von ein paar typischen Gerichten:

Schweinebraten mit Rotkohl und Kartoffelklößen 3,42 kg (Gesamtes Gericht) 2,00 kg (Nur Fleisch)

Curryhuhn mit Reis und Gemüse 1,47 kg (Gesamtes Gericht) 0,40 kg (Nur Fleisch)

Spaghetti mit Tomatensoße 0,63 kg (Gesamtes Gericht) 0,00 kg (Nur Fleisch)

Überhaupt: Wissen.

Die wichtigsten Informationen stehen auf den Produkten ja gar nicht drauf. Für das Sojafutter von 50 Schweinen ist wahrscheinlich ein fußballfeldgroßes Stück südamerikanischen Regenwalds gerodet worden – jede Menge CO2 wird dabei freigesetzt. Was ich bisher nicht wusste: Für Avocados gilt das auch. Die liegen hier so appetitlich und gesund im Regal, sind aber in puncto Waldvernichtung, Transportaufwand und Wasserverbrauch gar nicht ökologisch. Ich merke: Gesunde Lebensmittel wie Avocados oder Palmöl können trotzdem dem Klima schaden.

Tipp:

Wer seine persönliche Klimabilanz in Sachen Ernährung herausfinden will, kann das auf der Website des Bundesumweltamtes tun: www.uba.co2-rechner.de Einfach bei „Meine CO2-Bilanz“ die Kategorie „Ernährung“ anklicken und los gehtʼs!

Ich stelle fest: Mein Alltagswissen reicht oft nicht aus.

Ich fand auch Fleisch mal toll. Ich ekele mich vor einigen Bildern und Informationen aus Teilen der Produktion, aber nicht vor Fleisch an sich. Ich wünschte, ich könnte einfach den Fleischkonsum reduzieren, aber das fiele mir noch schwerer. Für mich gilt: Gar keins mehr zu essen, ist einfacher, weil kategorisch. Für alle zusammen gilt: Verzichtet wenigstens ein bisschen. Und jeder kann sich leicht informieren. Unwissenheit ist keine Ausrede.

Wie treffe ich denn jetzt meine Entscheidungen, nach bestem Wissen und Gewissen? Stoffwindeln waschen oder Einwegwindeln? Keine Ahnung, müsste ich noch recherchieren. Bio Ethanol? Da weiß ich, dass das problematisch ist, weil die Herstellung negativen Einfluss auf die Marktpreise von Lebensmitteln nimmt. Aber CO2-mäßig? Ich stelle fest: Mein Alltagswissen reicht oft nicht aus. Aber ein paar Gewissheiten fallen mir dann doch noch ein. Jede Verpackung, die man vermeiden kann, ist direkt eingesparter Klimaschaden. Alles, was man an Lebensmitteln wegwirft, muss neu produziert werden. Damit kann man doch schon mal anfangen, ohne großen Verzicht, oder? Ich versuche es, Tag für Tag.

Think global, …
Gesund und klimafreundlich: heimisches Gemüse vom Markt

… act local!
Besonders lecker mit frischen Kräutern

Weiter oder kurzer Weg?
Regional ist nicht alles, auch saisonal sollte das Obst sein.

Heimspiel
Äpfel aus Neuseeland? Besser von hier – wenn die Jahreszeit stimmt

Alles in Sack und Tüten …
Einkaufen mit Frischluft macht mehr Spaß.

… und ab aufs Rad!
Und Bewegung gibtʼs gratis dazu.

Emissionsfrei: das Fahrrad
Nur zu Fuß gehen ist noch klimafreundlicher!

Selbst is(s)t der Mann.
Entspannt schnippeln ist doch fast schon meditativ.

Kostprobe
Selbstgekochtes schlägt Fertiggerichte nicht nur bei der CO2-Bilanz …

Guten Appetit!
… sondern auch im Geschmack!