Auf Stippvisite im Kieler Tiny-House-Projekt

„Ich bin zu Hause.“ Dieser Satz mag für viele selbstverständlich klingen. Aber es gibt Lebenssituationen, in denen es eben genau diese Worte sind, die zum eigenen Glück fehlen. Und es werden immer mehr, denn die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist, gelinde gesagt, angespannt. In den großen Städten fehlt es derzeit an fast zwei Millionen bezahlbaren Wohnungen. Besonders betroffen sind große Familien, Alleinerziehende, Singles und Studierende, denn günstiger Wohnraum ist gerade in Unistädten Mangelware. Noch viel schwieriger gestaltet sich die Wohnungssuche aus einer Obdachlosigkeit heraus. Aber wo Menschen zusammenkommen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, tun sich oft neue Perspektiven auf, die Hoffnung machen. Es braucht Ideen und Engagement, kreative Köpfe und helfende Hände – und die haben sich in Kiel gefunden: im Tiny-House-Projekt des Studentenwerks SH und der Kieler Stadtmission.

Das Areal um das Edo-Osterloh-Haus ist ein Mikrokosmos mit eigener Infrastruktur

Auf dem Gelände des Edo-Osterloh-Hauses in Kiel, dem größten der 21 Studierendenwohnheime Schleswig-Holsteins, ist es heute vergleichsweise ruhig. Nur vereinzelt huscht jemand mit Tasche unterm Arm und einem freundlichen „Moin!“ auf den Lippen Richtung Fahrradständer an uns vorbei. „Alle anderen sitzen jetzt drinnen und büffeln für die Prüfungen“, erklärt uns der Hausmeister und zeigt uns den Weg zur Hausnummer 4b. Denn die liegt ein bisschen versteckt zwischen den Gebäuden des Wohnheimkomplexes. Da ist es: das Tiny House, das sich mit seiner sonnengelben Farbe unter Kiels blauem Himmel heute von seiner schönsten Seite zeigt. Hier ist Merethe zu Hause, die uns schon an der Tür erwartet. Die 22-jährige Bad Bramstedterin studiert in Kiel Politik- und Sprachwissenschaft im siebten Semester und nimmt Kurs auf ihre Bachelorarbeit. Seit sie für das Studium nach Kiel kam, wohnt sie im Tiny House, das übrigens von innen erstaunlich viel geräumiger aussieht, als man es von außen vermutet. „Mein Studienbeginn fiel in die erste Phase der Corona-Pandemie, als anfangs ja noch alles digital stattfand“, erzählt Merethe. „Erst als die Maßnahmen gelockert wurden und Präsenzveranstaltungen stattfanden, war die Wohnungssuche ein Thema.“ Und zwar kein einfaches, wie sich bald herausstellen sollte. Ihre Schwester studierte zu diesem Zeitpunkt bereits in Kiel und stolperte über ein Instagram-Posting des Studentenwerks. „Man kann sich für ein Tiny House bewerben. Wäre das nicht etwas für dich?“ Ja, das wäre es! Am 1. November 2021 war Schlüsselübergabe – und zwar nicht nur für die junge Studentin. Denn vis-à-vis von ihrem gelben Häuschen steht ein zweites Tiny House in grauer Farbe, in das eine wohnungslose Klientin der Stadtmission eingezogen ist. Bis zum Einzugstag hatte ein engagiertes Team keine Zeit und Mühen gescheut, um aus einer Idee ein zweifaches Zuhause zu schaffen.

Studentin Merethe Nickel fühlt sich wohl in ihrem Tiny House.

Innovatives Wohnprojekt mit sozialem Anspruch

Ganz bewusst richtet sich das Angebot der Stadtmission an wohnungslose Frauen, da sie in besonderem Maße auf einen geschützten Raum angewiesen sind. Auch das Studentenwerk möchte mit dem Projekt gezielt weibliche Studierende bei der Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft unterstützen. Dieses „Tür an Tür“ soll den Frauen Sicherheit geben – mehr Austausch kann sich ergeben, wird aber nicht erwartet. Dass das Wohnprojekt zustande kam, ist ebenfalls einem Frauen-Duo zu verdanken: Karin Peters, gelernte Krankenschwester und studierte Diplom-Sozialökonomin, ist bei der Kieler Stadtmission für Fundraising und Projektmanagement zuständig. Ende 2019 entstand dort aus dem „Housing first“-Konzept heraus die Idee, sich an das Thema Tiny Houses – hier in Form von Wohncontainern – heranzuwagen. „Der Grundgedanke des ‚Housing first‘-Prinzips ist, dass Menschen in sozialen Notlagen aus einer Wohnsituation heraus leichter wieder Fuß fassen“, erklärt sie. Zunächst suchte man nach einem geeigneten Kirchengelände, jedoch ohne Erfolg. Dass sich ausgerechnet eine Prüfung des Studentenwerks SH durch den Landesrechnungshof als glückliche Fügung erweisen sollte, konnte zunächst niemand ahnen. Doch Christian Albrecht vom Landesrechnungshof ist Mitglied im Freundeskreis der Stadtmission, einem Netzwerk aus engagierten Unterstützer*innen. Er stellte den Kontakt zwischen Stadtmission und Studentenwerk her. Hier wiederum war es Maike Briege, die sich für die Idee begeistern ließ. Auch ihr Werdegang kombiniert Expertisen, die dem Tiny-House-Projekt in die Karten spielen: Die gelernte Tischlerin und studierte Architektin mit Schwerpunkt sozialer Wohnungsbau ist heute Leiterin des Bereichs Facility-Management und Bau beim Studentenwerk SH. „Mit diesem Partner an unserer Seite ließ sich schon die erste wichtige Hürde viel leichter nehmen: die Baugenehmigung“, sagt Karin Peters, „denn das Studentenwerk verfügt über viel Erfahrung und beste Kontakte.“ Und Maike Briege ergänzt: „Viele wollen bauen und der Wohnungsknappheit etwas entgegensetzen, aber es scheitert an der Baugenehmigung. Hier auf dem Wohnheimgelände sind die Anschlüsse für Strom, Wasser und Abwasser bereits vorhanden, so konnten wir zumindest schon mal für einen befristeten Zeitraum von fünf Jahren eine Genehmigung erhalten. Und wir sind zuversichtlich, dass es mit der Verlängerung klappt.“

Diakonisches Sozialunternehmen trifft Großversorger für studentisches Wohnen: Karin Peters (Kieler Stadtmission, links) und Maike Briege (Studentenwerk SH, rechts).

Eine Erfolgsstory: das Tiny House als Zwischenstation zur eigenen Wohnung

Mithilfe des Freundeskreises der Stadtmission fanden sich auch etliche tatkräftige Betriebe aus der Region, die Arbeitskraft und Material für das Tiny-House-Projekt bereitgestellt haben. Bei Karin Peters und Maike Briege liefen alle Fäden zusammen. Außerdem sind Erlöse aus der Eventreihe „Kieler Konzert gegen die Kälte“ in das Vorhaben geflossen. Die beiden Kooperationspartnerinnen sind sich einig: „Für die Umsetzung eines solchen Bauvorhabens braucht man einen langen Atem, obwohl oder gerade weil es so klein ist.“ Aber es hat sich gelohnt, denn das Konzept geht auf! Nicht nur die erste ehemals wohnungslose Klientin der Stadtmission ist nach anderthalb Jahren im Tiny House in eine neue, feste Wohnung umgezogen. „Die zweite Bewohnerin zieht ebenfalls morgen schon aus, weil sie etwas gefunden hat“, freut sich Karin Peters. Auch wenn es nur zwei Wohnplätze schafft, ist das Projekt eben kein Tropfen auf den heißen Stein, sondern ein Leuchtturm-Projekt, das Mut macht und in anderen Bundesländern gerne Nachahmer finden darf.

Nun ist Merethe gespannt auf ihre dritte Nachbarin. „Bei diesem Projekt finde ich den sozialen Charakter besonders schön“, sagt sie. „Hier ist mir zum einen bewusst geworden, wie gut ich es doch habe mit einem Zuhause und dem sozialen Umfeld, und zum anderen, wie schnell sich eine vermeintlich wohlbehütete Lebenssituation ändern kann.“ Das Tiny-House-Prinzip findet sie generell toll und könnte es sich auch für ihr späteres Leben gut vorstellen. Mit dem begrenzten Platz musste sie sich nicht erst anfreunden.

Exotische und invasive, also offiziell nicht heimische Arten, dürfen nicht in die freie Wildbahn entlassen werden, sondern müssen vermittelt werden – gegebenenfalls an einen Tierpark. Bei heimischen Wildtieren hingegen ist das oberste Ziel immer die Wiederauswilderung. In den Startlöchern stehen gut 30 Igel, die hier mit sehr viel Sorgfalt, sozusagen in der Kinderstation, aufgepäppelt wurden. „Igel leiden sehr, wenn sie nicht rauskönnen. Ich habe letztes Jahr beobachtet, wie sich ein Jungtier auf die Hinterpfoten gestellt und regelrecht am Gitter festgekrallt hat. Dieses Bild hat sich mir eingebrannt“, erzählt Katharina.

Auch wenn das Team im Winter tendenziell weniger mit heimischen Tieren zu tun hat als zu anderen Jahreszeiten, werden auch dann regelmäßig Wildtiere in Pflege genommen, die durch Autoverkehr, Windkraftanlagen oder andere zivilisatorische Faktoren verletzt wurden. In harten Wintern geraten zudem immer wieder junge Wildtiere bei der Futtersuche in Schwierigkeiten. Ein noch unerfahrener Mäusebussard zum Beispiel. „Man argumentiert gerne, das sei nun einmal der Lauf der Natur. Aber wir Menschen haben die Natur längst aus dem Gleichgewicht gebracht. Was spricht also dagegen, dem geschwächten Mäusebussard auf die Beine zu helfen? Bei einem Wildunfall im Straßenverkehr kann man ja auch nicht von natürlicher Auslese sprechen. Abgesehen davon bleibt von der freien Wildbahn in unserer zivilisierten Welt immer weniger übrig.“

Letztes Jahr wurden in Sparrieshoop erstmals vier Otter aufgenommen. Nun ist Nachzügler Honey dazugekommen. Ihr Fell duftet nach Honig, findet Katharina. „Eigentlich wird Otternachwuchs ein Jahr lang von der Mutter betreut, nun müssen wir das übernehmen“, sagt sie und erinnert sich: „Ein Jagdpächter hatte sie in der Lüneburger Heide gefunden. Vermutlich ist sie auf einem der ersten Fami-lienspaziergänge verloren gegangen oder das Muttertier wurde überfahren. Daher wartet man zunächst einmal 24 Stunden ab, ob die Mutter nicht doch zurückkehrt.“ Baby Honey bekommt seine Streicheleinheiten. Dennoch hält sich Katharina an den Grundsatz: So viel Kontakt wie nötig, so wenig wie möglich. Um Wildbahntauglichkeit zu erlangen, darf ein Tier nicht zu zahm werden. Die Erdmanns und ihr Team leisten neben der Tierpflege sehr viel Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Denn nicht immer, wenn ein Notruf eingeht, ist menschliches Eingrei-fen nötig. „Manche Jungtiere wie Feldhase und Rehkitz sitzen von Natur aus oft stundenlang alleine und brauchen dann meist keine menschliche Hilfe. Und im Umgang mit halbwüchsigen Igeln beraten wir die Finder am Telefon oftmals so intensiv, dass sie das Tier gegebenenfalls sogar im eigenen Garten selbst unterstützen können.“

Der eine oder andere tierische Bewohner bleibt für im-mer, beispielsweise ein weißer Nerz, der heute keine Lust auf Besuch hat und sich vor uns versteckt. Er unterstützt Familie Erdmann bei der Aufklärungsarbeit zum Thema Pelz. Auch Minipig Pipita ist Dauergast. Man fand sie als sterbendes Ferkel im Straßengraben in Norderstedt. Die kleine Kämpferin wurde eine Woche über Magensonde mit Haferschleim gefüttert. Heute ist sie fünfeinhalb und dient als Botschafterin in Bezug auf unseren Fleischkonsum, den die Station kritisch hinterfragt und thematisiert, zum Beispiel wenn Kitagruppen und Schulklassen zu Besuch kommen.

„Das Minimalistische passt zu mir. Ich kann mich auf mein Studium konzentrieren und fühle mich frei und unabhängig.“ Die Möbel waren schon da. Und selbst wenn sie nur hier und da ganz wenige Gegenstände platziert hat, oder gerade deswegen, steckt viel von Merethe in diesen 25 Quadratmetern. Um einen Wohlfühlort und ein Zuhause auf Zeit zu schaffen, braucht es eben nicht viel. Und auch wenn das Tiny-House-Tandem keine WG ist, gibt die direkte Nachbarschaft doch ein Gefühl von Sicherheit und Miteinander. Ob Merethe einen Tipp hat, den sie ihrer Nachmieterin eines Tages mitgeben kann? Sie hat zwei: „Man sollte versuchen, die Energiekosten im Blick zu behalten. Die E-Heizungen schlagen schnell zu Buche. Ich bin froh, dass ich im Studentenwerk auch an diesem Punkt einen sehr verständnisvollen Ansprechpartner habe. Außerdem ist es nicht so ganz einfach, Essen zu bestellen, am besten fängt man den Lieferanten draußen ab.“ So ist wohl schon manche*r Pizza-Bot*in auf dem Gelände herumgeirrt, während im Tiny House ein Magen knurrte. Aber wie wir mittlerweile wissen: Am Ende findet und fügt sich nahezu alles. Dazu braucht es Menschen wie Karin Peters und Maike Briege, die Ideen in die Tat umsetzen. Und: Menschen wie Merethe und ihre Nachbarin, die sich auf neue Wege einlassen und ihr Glück beim Schopfe packen.

Hoffen auf eine Bleibe

Immer mehr Menschen in Deutschland haben keinen festen Wohnsitz oder sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Die Kieler Stadtmission zählt derzeit allein 900 Männer und 250 Frauen, die ihr Beratungsangebot in Anspruch nehmen. Betroffen sind vor allem zwei große Gruppen: Menschen in sozialen Problemlagen und Studierende. Für das Wintersemester 2024/25 stehen rund 1.000 junge Leute, die sich in Kiel immatrikuliert haben, auf der Warteliste für einen sogenannten Bettplatz. Sie alle haben ein Online-Formular ausgefüllt und kommen in die Lostrommel. Das Tiny House ist nur für Frauen vorgesehen. Das nächste Bewerbungsverfahren wird über die Social-Media-Kanäle des Studentenwerks kommuniziert.

Studentenwerk SH

530 Beschäftigte sind im Studentenwerk SH für zehn Hoch schulen an sechs Hochschulstandorten und rund 60.000 Studierende zuständig. Neben Mensen, Cafeterien und Kitas betreibt das Studentenwerk 21 Wohnheime mit knapp 3.200 Plätzen. Außerdem im Programm: eine Vielzahl an Service- und Beratungsleistungen für Studierende, Studienfinanzierung, die Förderung kultureller Aktivitäten und innovativer Projekte wie „Wohnen für Hilfe“, „Tatort Küche“ und die Tiny Houses für Frauen. Mehr unter: www.studentenwerk.sh

Tiny-House-Movement

Der Trend der Mini-Häuser findet seinen Ursprung in den USA. Aus einer Lösung für Menschen in finanzieller Notlage entwickelte sich ein Lifestyle, der Freiheitsliebe, Nachhaltigkeit und die Reduzierung auf das Wesentliche in den Fokus rückt. Die Bewegung hat längst auch Deutschland erreicht. Hierzulande definiert sich ein Tiny House als eine Nutzfläche zwischen 15 und 45 Quadratmetern samt Schlafbereich, Küchen und Badausstattung sowie Anschluss an die öffentliche Ver- und Entsorgung mit Strom und Wasser. Tiny Houses werden auch als Gästehaus, Geschäfts- oder Messebüros genutzt. Vor allem der Aspekt der räumlichen Ungebundenheit hat es in Deutschland schwerer als in Amerika, da hier ebenso wie die baurechtlichen Vorschriften auch eine Straßenverkehrszulassung sehr viel strenger geregelt ist.

Kieler Stadtmission

Die stadt.mission.mensch gemeinnützige GmbH, wie die Kieler Stadtmission in – zwischen offiziell heißt, ist ein modernes Sozialunternehmen unter dem Dach der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. 400 Angestellte und viele Ehrenamtliche realisieren Angebote für Senior*innen sow ie für psychisch erkrankte, wohnungslose, langzeitarbeitslose, straffällig gewordene und suchterkrankte Menschen. Mehr unter: www.stadtmission-mensch.de